Predigen II: Über 15 Minuten

,Du darfst über alles predigen, nur nicht über 15 Minuten,’ sagt ein alter Spruch unter Pfarrpersonen – und verrät gleichzeitig den Kleinglauben beim eigenen ,Kerngeschäft’:
Hauptsache nicht zu lang (Inhalt und Form sind Nebensache.)  Diese Aussage wird gerne noch von einer Zahl aus der Wahrnehmungsforschung begleitet: Die Aufmerksamkeitsspanne eines Menschen betrage heute selten über 15 Minuten (oder 10, 12, 18… je nach Studie).

Umso mehr überrascht mich eine grossangelegte Untersuchung aus den USA.
Das Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center verglich über 9 Sonntage um Ostern 2019 annähernd 50'000 Predigten aus insgesamt 6431 christlichen Gemeinden.
Resultat: Eine Predigt dauerte im Durchschnitt 37 Minuten.
(Gross waren die Unterschiede unter den kirchlichen Richtungen: katholisch: 14’ / traditionell protestantisch: 25’ / traditionell afroamerikanisch (black church): 54’ / evangelikal: 39')

Nun denke ich nicht, dass die Aufmerksamkeitsspanne in den USA höher ist - und der Medienkonsum, der diese negativ beeinflusst, tiefer. Ich vermute eher, dass man dort Predigten als eine eigene ,Kunstform’ mit eigenen Regeln betrachtet. Und mit einem eigenen Kontext: Gemeinde als Hörgemeinschaft.
Bei einem Lehrvortrag (von dort kommt die Aufmerksamkeitsforschung) mag der Aufnahmespeicher nach einer Viertelstunde voll sein. Bei der ,SRF Rundschau’, einer Symphonie, dem Kleintheater oder der Kinder-CD sagt niemand nach 15 Minuten: ,Abschalten.’

Aufgehobensein weckt und trägt Aufmerksamkeit.
Bei isolierter Langeweile allerdings ist schon eine lange Weile vorher Schluss.
Was bedeutet das für unser Feiern und Predigen?

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

(Link zur Pew Research Studie)

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