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Es werden Posts vom April, 2022 angezeigt.

geballte Fäustchen im dichten Gras

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Viele schwere Gedanken in den letzten Wochen. Ich mache mir keinen Vorwurf. Die Wolken, die heute ihre Decke vor die Sonne ziehen, erinnern daran, dass die vergangenen lichtvollen Tage nicht für die Weltgemütslage standen. Wohl aber für die Osterwoche. Das Fest kam in diesem Jahr gerade recht. (Es kommt immer irgendwie recht!). Seine verrückte Botschaft, die dem Tod eine lange Nase dreht, tat mir diesmal anders besonders gut. Ich genoss das Fest tiefer (höher?) und stiller als sonst. Sein Übermut blies Frischluft in mein Seelendunkel und in meine Gedanken drang seine Heiterkeit wie das Sonnelicht durch die Storenlamellen.  Ich erinnere mich an das Buch, das ich mal im Brocki mitgehen liess, und das Osterfest in einer waadtländer Gemeinde beschreibt. Jacques Chessex (1934 - 2009) gehört (wie Philippe Jacottet, vgl. letzten Beitrag) zu den grossen Schrifstellern der Schweiz, die diesseits des Röstigrabens viel zu wenig gelesen werden. In ,Leben und Sterben im Waadtland' (1972) stel

der lichtlosen Welt entrissen

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Ostersonntag. Hinter dem Haus sitzen und von der eigenen Wohnhöhle wegschauen. Das Laub drängt ins Licht, abertausend kleine Origamiwunder. Der Bus brummt durch durch die übermütige Vogelgeräuschkulisse. Und mitten drin er. Wir hatten ihn tot genannt, noch vor wenigen Wochen. Seine dürren Äste piksen in den Himmel, mit kleinen Zweigwiderhaken, als wollte er sich oben festhalten. Grünes Moos und weisse Flechten bedecken Stamm und Äste, dazwischen kahle Stellen, von der Zeit geschält, Der Specht hämmert seine Löcher in ihn. Kleine Grabhöhlen im toten Holz. Baumfriedhof. Er hält dagegen: Käfer und Würmer. Lebenskraft. Das junge Eichhörnchen braucht ihn als Sprungbrett zum Nussbaum. Es springt schon wie ein Grosses.  Noch nicht lange her, da begannen vier Äste unter der Frühlingssonne zu schäumen. Weisse Blüten, als zöge der Alte nochmals sein Erstkommunionskleid an. Nun haben grüne Blätter ihre Schirme darüber aufgespannt. Und ich bin überzeugt, im Sommer wird er weieder Früchte bringen.

Wunder, negativ

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Udo Rohlfs 2015: Kreuzigung Jesu - Fleisch Das Kreuz ist eine Barbarei, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In diesem Jahr fällt die Karwoche nicht aus der Zeit heraus. Sie bringt sie auf den Punkt - oder eben: auf das Kreuz.  Das Kreuz steht für mich in Butscha und an so vielen Orten, die erst jetzt auf meiner Landkarte auftauchen. Und steht da nicht anstelle von Kabul, dem Südsudan, chinesischen Lagern und weissrussischen Gefängnissen, sondern mit ihnen. Von den Seiten, die der Krieg täglich füllt, ist mir diese Woche ein Interview mit dem Historiker Jörg Baberowski hängen geblieben (s.u.). Er vergleicht den Krieg mit einem negativen Wunder: Er ist das absolut Unerwartete - von der furchtbaren, schrecklichen Seite. Der Krieg durchbricht die herrschende Ordnung und zerstört unsere Bilder der Welt und des Menschen. Eine zutiefst verstörende Erfahrung. Sie lässt sich nicht begreifen, aber auch unmöglich verdrängen. In der Geschichte meines Glaubens steht dafür die brutale Kreuzigun

wenn Bilder reden

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Vadim Ghirdă, AP / The Guardian Die Legende sagt, Feldmarschall Grigori Alexandrowitsch Potjomkin habe ganze Dörfer als Kulissen aufgestellt und mit Leuten gefüllt, um bei Zarin Katharina der Grossen den Eindruck zu erwecken, dass ihr Reich besiedelt werde und der Wohlstand blühe. Sie fuhr mit der Bahn durch die Landschaft und die Leute jubelten ihr zu. Alles nur Fake. Täglich neue Bilder. Zerstörte Panzer. Ausgebrannte Häuser. Überfüllte Bahnhöfe. Verzweifelte Mütter. Betende Soldaten. Trümmerübersäte Strassen. Und seit gestern auch zugedeckte, auf der Strasse liegende tote Zivilisten. Und allabendlich neue Talkrunden. Es muss mehr geschehen, sagt die eine Seite. Es geschieht alles Mögliche, sagt die andere. Man verweist auf die Bilder. Reden sie nicht Klartext? Also kündigt die Politik täglich neue an, auch wenn sie die alten sind (mehr Sanktionen).  Was sagen die Bilder? Sagen sie etwas Neues, anderes? Enthalten sie mehr Informationen als Berichte? Oder einfach nur mehr Wucht? Ich w