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Es werden Posts vom September, 2023 angezeigt.

Einander tragen

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Sie sehen zuerst und von nahe aus wie Liebende, sie sich nach langer Trennung in die Arme fallen. Die Gesichter an der Schulter vergraben, die Augen geschlossen, halten sie sich tief umschlungen. Zwei Körper so nahe, als wollten sie sich einverleiben. Ringsum sitzen Menschen im Kreis. Dann, als das Bild zurückfährt, sieht man, dass nur die eine Person die andere auf diese Weise fasst. Die Arme der anderen hängen schlaff herunter. Sie liegt mit dem ganzen Gewicht auf ihrer Trägerin. Als diese sich in die Mitte des Kreises bewegt, schleift sie die Füsse des anderen Menschen mit. Die Last eines ganzen Menschen liegt auf ihr. Sie beugt sich nieder, stützt den Kopf der Person, die ihr anvertraut ist, und versucht sie, so sanft wie möglich, ohne sie zu schrecken und zu wecken, auf den Boden zu legen.  Es geht mir durch den Kopf, wie wir, nach langer Heimfahrt, versuchten, die bereits grossen, schlafenden Kinder aus dem Auto zu heben und hoch ins Zimmer in ihr Bett zu tragen. Ein Moment innig

Betet, freie Menschen, betet!

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Bettag 2023. In der letzten Woche hat der Klimawandel ein weiteres Schreckensgesicht gezeigt: In Libyen (Derna) werden ganze Quartiere ins Meer gespült. Über 10'000 Menschen werden noch vermisst. Nun drohen Seuchen. Hilfe kommt wegen des Bürgerkriegs kaum an. Die Medien sprechen von einer ,Tragödie biblischen Ausmasses'. Ein Bericht zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche der Schweiz weist seit den 50-er Jahren über 1000 Fälle auf und schockiert einmal mehr. Ob die Verantwortlichen in der Lage sind, nicht nur das Einzelversagen, sondern auch die strukturellen Gründe, die sie ermöglichten, anzugehen? In Marokko verwüstet ein Erdbeben unzählige Dörfer. Die Eidgenossenschaft feiert 175 Jahre Bundeversfassung. Der Krieg in der Ukraine wütet seit 570 Tagen. In Lampedusa landen über 7000 Flüchtlinge. Jemand sagt: Manchmal ist die Welt furchtbar. - Der eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag wurde von der Tagsatzung noch vor der ersten Bundesverfassung im Jahr 1832 der Bev

ich wäre gerne auch weise

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Heute in den Nachrichten: Der UNO-Hochkommissar Volker Türk warnt in der Eröffnung der Herbstsession des Menschenrechtsrates in Genf vor einer ,Zukunft, die wir uns nicht wünschen'.  Und fasst sie so zusammen: ,Die Faust ist zurück'. Wenn die Illusionen zerstäuben wie Seifenblasen und die Realität durch alle Wände von Gedanken und Gefühlen drückt, schlägt die Stunde der Weisheit. Jedenfalls ist das mein Eindruck, nachdem ich mich im Zusammenhang von Erwachsenenbildung und Gottesdienstvorbereitung letzthin einige Zeit damit beschäftigen durfte.  In der Bibel werden nicht wenige Seiten unter Weisheit zusammengefasst (Sprüche, Hiob, Kohelet; Jospeh-Geschichte, einige Psalmen, Texte in den Briefen des Neuen Testaments...) . Im kirchlichen Leben und meinem Beruf nehmen sie dagegen wenig Raum ein. Vielleicht, weil sie so erstaunlich rational und unreligiös sind? Dabei enthält ihre Lebenskunst gerade für Zeiten, die auf das Gemüt schlagen und sich manche fromme Wünsche zerschlagen, ei

geistige Fernbeziehung

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Die Müdigkeit Manchmal bin ich so müde, dass ich im Stehen, mit offenen Augen, einschlafe. Sobald ich sie schliesse, werde ich wach. Immer wieder das Erstaunen, wie sehr Menschen, die sie gar nicht persönlich kennen, Jugendlichen zu Freundinnen und Freunden werden können. Sie leben mir ihren Stars und Idolen, als bewohnten diese das WG-Zimmer gleich daneben. Mit deren Hits und Abstürzen fahren sie in ihrer Gefühlswelt Achterbahn, während sie gerade auf den Bus zur Schule warten. Erstaunliche Nähe. Bei mir selbst fallen mir solche ,geistigen Freundschaften' meist erst dann auf, wenn mir Todesnachrichten einen kleinen Stich ins Herz versetzen. Ich wundere mich über den Schmerz - und erinnere mich dann daran, dass mir dieser Mensch mal von Ferne ganz nah gekommen ist, manchmal durch eine Äusserung, Haltung, einen Film, einen Song, eine Ausstellung, oft durch ein Buch. So geschehen vor einem Monat. Die Nachrichten meldeten den Tod von David Albahari (1948- 2023). Von einem Brocki hatte