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Es werden Posts vom Dezember, 2022 angezeigt.

bleiben im Fluss

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Jahreswechsel. Das Jahr ändert sich. Einmal mehr. Ich bleibe und gehe durch die Zeit. Besser: Die Zeit geht durch mich. Doch bleibe ich wirklich? Was heisst denn ,Ich bleiben‘ im stürzenden Strom der Zeit? Identität ist zu einem Leitwort der Gegenwart geworden. Im Zeitalter von Individualisierung, Diversität und Globalisierung ist besondere Sorge zum unverkennbar eigenen Sosein gefordert. Manchmal frage ich mich, welchem vergangenen Ich ich mal begegnen möchte.   Der Bibliotheken surfende Gymnasiast wäre mir bestimmt sympathisch, der fussballignorante Student abgehoben arrogant, und der Teenager, der sich fragte, ob Metzger das Richtige wäre, ein vollständiges Rätsel. War ich wirklich mal in einem evangelistischen Einsatz in Wien, ohne Wien auch nur ein bisschen anzuschauen? Und eine ganze Weile in die blasse F verknallt? Meine meisten vergangenen Ichs bis - sagen wir mal - 25, würde ich wohl kaum als solche erkennen.   Erst   wenn dieses Ich seine Geschichte zu erzählen begänne

auf Kollisionskurs

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Und der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Hört doch: Ich bringe euch eine gute Nachricht, die dem ganzen Volk grsse Freude bereiten wird. (aus der Weihnachtsgeschichte; Lukas 2, 10) - Kommet ihr Hirten, ihr Männer und Frau'n….   Ich schätze die ausgelassenen Hirtenlieder, wo plötzlich Bewegung in die Sache kommt. Hirten springen. Kinder singen. Alles gerät in helle Aufregung. Tiere, Sterne, Herz und Verstand. Dieses Ereignis löst Freudenwellen aus. Das Leben erbebt. Niemand bleibt davon unberührt. Maximale Ansteckung. - Erlöster müssten mir seine Jünger aussehen schreibt Friedrich Nietzsche mal in Also sprach Zarathustra . Die Hirten kann er dabei nicht gemeint haben. In sie ist der Blitzstrahl der Freude gefahren. Und hat sie selbst zum Leuchten gebracht. Die Hirten liefen hin, so schnell sie konnten, heisst es ein paar Verse später. Und sie fanden… (Lukas 2, 16) - Mir geht de Lutherübersetzung des Engelsbotschaft auf dem Feld durch den Kopf. Siehe, ich verkü

Vollmondgeräusch

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Suche am Himmel auch deinen Stern. Wenn du lange hinaufschaust, erkennt du ihn daran, dass er dir zublinzelt. Merke dir genau seinen Ort, damit du ihn jede Nacht wiederfinden kannst. Wann hast du das letzte Mal geweint? Zeige es, wenn du traurig bist. Höre auf das Geräusch, das der Vollmond macht, wenn er aufgeht. Ernst Eggimann Philipp Roth philipp.roth@kgbb.ch philipp.roth@erk-bs.ch

ein ganz gewöhnlicher Tag

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Der Advent bringt die Zeit unter Zugzwang. Sie wird mit Sehnsucht, Erwartung, Wünschen aufgeladen. Sie erhält eine Richtung, eine Grundstruktur. Die Tage werden auf die Zukunft hin gebürstet. Die Zeit drängt auf Erfüllung hin. Das Beste kommt noch.  Das ist die Stärke der Adventszeit. Sie hebt die Tage aus dem Einerlei heraus und gibt ihnen eine besondere Bestimmung. Der Adventskalender dramatisiert das Crescendo. Der Glühwein hält das Feuer bei Laune. Nie wird besser spürbar, dass es noch ganz anders sein könnte. Das ist Sehnsucht und Schmerz. Die heile Welt muss erst noch geboren werden. Jetzt ist Winter. Der Frühling kommt. Doch wie so oft ist diese Eigenart auch die Schwäche der Adventszeit. Die Erfüllungshoffnung ist für die Konsumwirtschaft aufs beste anschlussfähig. Aus dem kleinen Messias wird die grosse Bescherung. Der Zug der Zeit wird zur Hektik der Vorweinachtszeit. Und das nicht nur einmal, sondern alle Jahre wieder. Zudem verstärkt der Advent das Unbehagen an der Gegenwar

böse Zwerge

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Günter Bruno Fuchs hat mir ein Gedicht geschenkt, das ich manchmal auf dem Friedhof brauche. ,So nimm von der Sonne und geh.'  Er war noch ein Kind, als er 1944 in den Krieg musste. Ich stelle mir sein rundes, glattes Gesicht unter dem Stahlhelm vor. Durch seine Augen schauen mich auch viele heutige junge Männer an, die noch direkt von Mama kommen.  Doch vielleicht war er wegen des Krieges auch schon lange kein Kind mehr. Und musste deshalb später viel Kindheit in Gedichten, Märchen und Zeichnungen nachholen. Immer etwas frech, anarchisch, gegen den Strich.  Ausserhalb der Kriegsgefangenschaft verbrachte er sein ganzes Leben in Berlin und gehörte auch dann noch der Kommunistischen Partei an, als sie schon verboten war.  In einem Kinderbuch stosse ich auf eines seiner Märchen. ,Ein Riese muss immer aufpassen'. In den Sorgen des Riesen ertappt Fuchs meine Sorgen und die unserer Gesellschaft angesicht von Flüchtlingen, Kriegsnachrichten, möglicher ,Strommangellage' und steige

wider Erwarten gütig

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Advent. Die Erwartung des Guten. Der Kontrast des Unguten. Das Paradox, dass eine Hoffnung, die auf Ewigkeit angelegt ist, alle Jahre wieder kommt. Die Versuchung, sich die Erwartung zu ersparen, um sich die Enttäuschung zu ersparen. Sich am Glück festhalten, das bleibt. Zum Beispiel lesen. Der 11-jährige Roland wird Zeuge eines Verkehrsunfalls. Ein Motorradfahrer wird von einem Auto angefahren und schleudert durch die Luft. Die Frau im Auto ist im Schock. Menschen eilen herbei, um zu helfen. Ein Polizeiwagen, eine Ambulanz.  Mit seinen elf Jahren hatte er nichts Vergleichbares erlebt, beängstigende Minuten, die unzusammenhängend wirkten, fast wie ein Traum. Ereignisse, die in der Erinnerung verschwammen, ihre Abfolge verloren. (...) Der Mann, der durch die Luft schoss - das stand ausser Frage. Auch wie er aufgeprallt und kopfvoran weitergerutscht war, und wie der weisse Helm auf den grasbewachsenenen Seitenstreifen kullerte. Doch was Roland nie vergessen sollte und was ihn veränderte