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Es werden Posts vom März, 2022 angezeigt.

brüllender Löwe

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Unser schiefes Verhältnis zur Natur zeigt sich auch in der Sprache. Wir sagen ,menschlich' und meinen freundlich und rücksichtsvoll. Wir sagen ,tierisch' und meinen wild und brutal.  Der Krieg in der Ukraine brennt es auch dem naiven Teil in mir gewaltsam auf die Haut: Des Menschen Bestie ist nicht das Tier, sondern der Mensch selbst. Der Mensch ist gleichzeitig Mensch und Unmensch. Doch sprachlich sagt sich das halt oft besser mit einem Tiervergleich: homo homini lupus - Der Mensch ist des Menschen Wolf (Thomas Hobbes). Noch näher als der Wolf lag der Welt der Bibel der Löwe. Sein Umherstreifen und Brüllen war den Menschen in Palästina ein vertrauter Schrecken. Im 1. Petrusbrief muss der Löwe deshalb sogar für den Teufel selbst herhalten.  Bewahrt einen klaren Kopf, seid wachsam! Euer Feind, der Teufel , streift wie ein brüllender Löwe umher. Er sucht jemanden, den er verschlingen kann.  (1. Petrus 5, 8) Gerne habe ich bisher einen Bogen um diesen Satz gemacht. Weniger des

Liebhaberei Religion

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Religion ist eine Nebensache. Im durchgeplanten und zweckorientierten Alltag der meisten Menschen spielt sie keine Rolle. Den anderen wird sie als Liebhaberei zugestanden - so wie anderen das Aquarium mit den Schleierfischen, das Porzellanmalen, das Lesen von Gedichten oder die Skitour.  Als Theologe reagiere ich darauf wechselweise mit Trotz oder Resignation. Grundsätzlich anders empfinde ich es allerdings in diesen Wochen. Angesichts des Krieges in der Ukraine - nach der Pandemie Stufe zwei eines massiven Verlustes von Sicherheit und Vertrauen in unsere selbstgeschaffenen Ordnungen  - erstaunt mich, wie viele ein 'Friedensgebet' wichtig finden, selbst wenn sie es nicht besuchen. Von Navid Kermani habe ich schon manches gelesen. Als deutsch-iranischer Intellektueller muslimischen Glaubens gehört er zu den Autoren, für Religion stets eine Bedeutung behalten hat. Nun hat er ein Jugendbuch über Religion geschrieben - als Gespräch mit seine Tochter. In der DER ZEIT lese ich dazu e

kriegsfrühling

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ich sah sie wieder nicht kommen ich sehe sie nie kommen die kleinen narzissen  plötzlich sind sie da mitten auf dem vom winter niedergedrückten rasen (auf dem vom weltwinter niedergedrückten rasen) leuchten unbekümmert fröhlich unenwegt und ich sehe sie auch aus ukrainischer erde kommen und russischer (syrischersudanesischervenezolanischernordkoreanischeruigurischer...) glocken die ostern läuten noch ist nichts davon zu hören so wie erst noch nichts zu sehen war Philipp Roth philipp.roth@kgbb.ch philipp.roth@erk-bs.ch

Stundenhotel für das andere

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Bereits zwei Wochen Krieg in der Ukraine. Wir stehen da, zwei Wortarbeiter, mitten in einer Kirche, und finden keine Worte. Das Schweigen zieht sich. Schliesslich sagt einer doch etwas. Er sagt: ,Da fehlen einem die Worte.' Ich weiss nicht mehr, wer mir Adam Zagajewski empfohlen hat. Möglicherweise las ich einen Nachuf. Er starb genau vor einem Jahr, im März 2021. Ich hatte seinen Namen schon gehört, mehr nicht. Der polnische Dichter und Essayist ging den Weg vieler Intellektueller, die noch hinter dem Eisernen Vorhang geboren worden waren: Ins Exil - über Berlin und Paris in die USA. Die letzten Jahre lebte und lehrte er in Chicago. Ich notierte mir damals seinen Namen und lieh mir aus der Bibliothek einen Band mit Essays aus, noch bevor Putins Armee die Ukraine überfiel. Nun nehme ich ihn oft zur Hand. Er ist mir Trost. Im Trommelfeuer der Informationen über Krieg und Leid, Gewalt und Flucht verschafft er mir Gedankenluft. Nicht nur, weil er eine Fülle von Spuren an die Ostränder

O Gottes Engel wehre

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Wir besprechen eine Trauerfeier. ,Ist Ihnen sonst noch was wichtig?' ,Ja, ich möchte nicht, dass wir das Unservater beten. Das ganze mit der Schuld und so. Ich finde das heute daneben.' ,Aber es gibt sie halt - leider,' entgegne ich kleinlaut und notiere ,kein UV'. Beim Gedanken an den Krieg ist mir in den letzten Tagen oft Else Lasker-Schüler durch den Sinn gegangen: ,Es ist ein Weinen in der Welt / als ob der liebe Gott gestorben wär.' Nun, auf der Heimfahrt mit dem Fahrrad, fällt mir plötzlich Matthias Claudius' , Kriegslied ' ein, das mit dem doppelten schrecklichen Klageruf beginnt: ,'s ist Krieg! 's ist Krieg!' Zuhause schlage ich es auf. Es berichtet vom schrecklichen äusseren Geschehen. Es scheint 1778 nicht anders gewesen zu sein als heute. Und endet in der ersten und letzten Strophe zuinnerst im Eigenen: ,- und ich begehre,/ nicht schuld daran zu sein!' Wir können uns darauf einigen, nicht über Schuld zu reden und zu beten. Weniger