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Es werden Posts vom Januar, 2022 angezeigt.

winter shakers

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Ein Film besucht in die letzten Orte und Nachfahren der Shaker in den nordöstlichen Bundesstaaten der USA. Dabei erzählt eine alte Frau von den winter shakers , eine Art damaliger Saisonniers. Die Shaker (Schüttler) waren eine christliche Bewegung des 19. Jahrhunderts, die aus dem Quäkertum hervorgegangen war. Sie selber nannten sich einfach „the Believers“ („die Gläubigen“). Shaker wurden sie wegen des rituellen Schütteltanzes genannt, für den sie bekannt waren. Er galt ihnen als eine Form der Gottesverehrung. Und anderen als Grund zum Spott. Shaker ist ausserdem die Kurzform von Shaking Quakers .  Dabei wussten alle, dass das Schütteln nur eine Nebensache der Gemeinschaft war. Besonders die Taglöhner und Wanderarbeiterinnen wussten das, die von den Launen der menschlichen Gesellschaft und Wirtschaft durch die jungen Bundesstaaten getrieben wurde wie Herbstlaub im Wind. Und wie wussten es zu schätzen. Bewundert wurden die Shaker nämlich für ihren Fleiss, ihre handwerklichen Fertigkeit

Orientierungssinn

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Ich kann mich ganz gut orientieren. Ich erinnere mich an Dönerbuden, Graffities und Scherenschnitte in Kinderzimmerfenstern, an denen ich schon mal vorbeigekommen bin. Der eingewachsene Altwagen neben der Gartenhecke, die alte Platane und die Weggabelung mit der blauen Bank kommen mir bekannt vor. Intuitiv scheine ich irgendwie auch Geländeformen, Lichteinfall oder Windrichtung einzubeziehen. Was jedoch nicht heisst, dass ich nicht auch schon komplett falsch gewickelt war. Aus einer U-Bahn-Station hochkommend, muss ich mich vor dem Stadtplanausschnitt neu ausrichten. Flache Wälder mit gleichbleibendem Baumbestand narren meinen Orientierungssinn regelmässig. Nichts geht über einen Hügel in der Nähe, ein altes Industriekamin oder die Rochtürme. Im Zusammenspiel sind sie unschlagbar. Je hilfreicher, desto mehr sie sich von der Niederung abheben. Von Weitem bedeuten sie mir, wo's lang geht. Ich frag mich, weshalb mir nicht schon früher aufgefallen ist, dass in der 'Orientierung'

El Capitan

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Tommy Caldwell hat den El Capitan im Yosemite Nationalpark schon dutzende Male durchklettert, auf verschiedenen Routen, auch im Rekordtempo. Er gehört zu den berühmtesten Freestyle Kletterern der Welt. Nun wird er allmählich von Jüngeren überholt. Gefragt, wann er beim Klettern am meisten Angst gehabt habe, erzählt er, wie er nach einem Wanddurchstieg fast von der eigenen Kletterutensilien, die er in einer Tasche hinter sich hergezogen hatte, zurück in die Tiefe gerissen worden wäre. Durch deren Fall wurde er oben von den Füssen gerissen und zum Angrund gezogen. Er versuchte sich an Steinen, Wurzeln und Erde festzuhalten, bevor er über die Kante ging. Was ihm schliesslich auch gelang. ,Das war ziemlich knapp,' sagt. Das erschreckendste Erlebnis jedoch hatte er am Rande des Kletterns. Als er sich im Jahr 2000 für ein Fotoshooting in Kirgistan aufhielt, wurde seine Gruppe von IS-Rebellen gekidnappt. Sie gerieten zwischen Feuergefechte mit der kirgisischen Armee und mussten sich manch

Kontemplation?

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Jan Vermeer, Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster, bis 2017 Ein junge Frau steht am offenen Fenster und liest einen Brief. Wie ein Wasserfall im Frühling fällt der dunkelrote Vorhang über den offenen Fensterflügel. Die Schale mit Früchten im Vordergrund ist umgekippt , die Decke darunter zerzaust. Die Frau steht im Licht. Und man stellt sich leise dazu und wird ganz still. Man sieht viel. Und sieht vor allem, was man nicht sieht: In Licht und Farben gewobenes Geheimnis. In meinem kleinen reformierten Lexikon gehört Jan Vermeer van Delft zu den berühmten Protestanten. Er malte in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Und machte sich dabei rar. Nur gut 30 Bilder zählt man heute. Das macht ihn umso berühmter.  ,Die Briefleserin' gehört zu den frühen Meisterwerken. Für manche ist sie ein Ikone bürgerlicher Bildung, gar Emanzipation. Statt in den lärmigen Wirtstuben und auf den schmutzigen Gassen vergnügt sich die junge Frau still lesend im gepflegten Raum und bildet ihr Herz. Andere lege

Nebel

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Das Glück der Übersicht. Vom Jura aufs Mittelland. Vom Hügel ins Tal. Das Spiel von Nebel und Sonne.  Sich da oben nicht vorstellen können, wie es da unten im Nebel ist. Man sieht kaum die Strasse runter. Sich da unten nicht vorstellen können, wie es da oben ist. Sonnenschein so nahe.  ,Nur ein Weniges lasst uns höher hinauf...' Die letzte Zeile stammt aus einem Gedicht, das vor dem Umzug an meiner Studierzimmerwand hing. Ich erinnere mich. Die Hoffnung, die uns auf die Zehenspitzen stellt. Immer wieder. Zum Jahresbeginn besonders. Wie das Kind, das aus dem Glas oben im Küchenschrank nascht. Nur ein Weniges noch und wir werden die Mandeln blühen sehen den Marmor in der Sonne leuchten und das Meer sich wiegen nur ein Weniges noch, um ein Weniges laßt uns höher hinauf. Georgios Seferis Doch auch der Nebel hat seine Poesie. Und auch die Sonnenlandschaft gewinnt durch die Nebelfetzen nur.  Letzte Woche schob sich ein Gedicht von Carl Sandberg in mein Mailfach. Der Nebel kommt au

,katastrofa'

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Alexandars Eltern führen ständig das bosnische Wort katastrofa im Mund. Dabei kann es zwischen einem Loch in der Socke und Bürgerkrieg alles bedeuten. Er stört sich an dieser negativen und dramatischen Sichtweise und versucht sie zu verstehen. Zu Besuch bei Alexandars afro-amerikanischen Schwiegereltern, wollen die Eltern unbedingt deren Lebensgeschichte hören. Als diese ohne grosse katastrofas daher kommt, meinen sie, diese würden ihnen etwas verschweigen. Das sei doch kein Leben. Für sie windet sich der Lebensweg um katastrofas , die man glücklich überstanden hat. Krankheit, Kriege, Armut, Flucht. Anders können sie es sich nicht vorstellen. Und nicht erzählen. Vom eigenen Vater erzählt Alexandars Vater, dieser habe felsenfest geglaubt, es sei ein unmöglich, fünfzig Jahre alt zu werden, ohne einen Krieg zu erleben.  Alexandars Eltern hatten den jugoslawischen Bürgerkrieg erlebt. Innert Tage hatten sich Menschen, die bisher nette Freunde und gute Nachbarn waren, in hasserfüllte Gegne

Der Tross zieht weiter

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7.1.: - In Kasachstan sorgen seit heute russische Elitetruppen für ,Frieden'. - Im Hauseingang beim Bahnhof krümmt sich ein junger Mann über eine Spritze. Er hat die Hose runtergelassen, um die Vene in der Leiste erkennen zu können. - Meine Kollege erzählt von einem Trauergespräch. Ein alter Mann, an Covid verstorben, 3x geimpft. Die Sterndeuter waren gegangen... Matthäus 2, 13 Der Zirkus zieht weiter. Könige und Kamele, Hirten und Herden, Glanz und Gloria. Nach dem Dreikönigstag fliegt die Weihnachtstanne auf den Müll. Der Himmel schaut wieder regungslos herab. Was man hört, kommt von unten.  Von der biblischen Weihnachtserzählungen ist mir in diesem Jahr der lapidare Satz, mit dem Matthäus von der Abreise der 'Könige' berichtet, am stärksten geblieben. Neben den Engeln haben diese Gestalten wie aus 1001 Nacht am meisten für Märchenstimmung gesorgt. Mit ihnen geht nun auch die Attraktion. Nach den Gesetzen heutiger Aufmerksamkeitsökonomie  käme nun ein attention shifting .