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Es werden Posts vom Dezember, 2021 angezeigt.

Zwischen den Jahren

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Was mir auf der Brücke zwischen den Jahren so durch den Kopf geht: - Das meckernde Lachen von Desmond Tutu und wie er sich bei einer Anhörung der Wahrheitskommission die Hände vor Entsetzen vors Gesicht schlägt und seine Stirn auf die Tischplatte legt. Er hat dieses Weihnachtsfest noch mitgenommen und ist danach mit 90 gestorben. Ich frage mich oft, wie man angesichts von so viel Hass und Gewalt das Lachen bewahren kann. (Seine Friedensnobelpreismedaille wurde ihm bei einem Einbruch gstohlen. Das goldene Lachen blieb.) Tutu hatte ein Geheimrezept. Bestimmt hatte es mit seiner Liebe zu den Menschen und mit seinem Glauben an Gottes Liebe zu den Menschen zu tun. - Die Kinderaugen an Heiligabend: Wie alt auch die Menschen, in dieser Heiligsten der Nächte schaut aus allen Menschen das Kind, das sie mal waren und das sie irgendwo noch sind und das sie irgendwie werden. - Das Gedicht von Jochen Klepper, auf das ich bei der Vorbereitung der Weihnachtspredigt stiess. Er schrieb es 1938. Und in

Fleischwerdung

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Rembrandt, Geschlachteter Ochse, 1655 ,Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.'  Johannes 1, 14 Pures Fleisch. Ein geschlachtetes Rind, ohne Kopf und Fell, Bewegung und Atem, all dem, was das Tier zu einem lebendigen und individuellen Wesen machte. Die Ganzheit eines Lebens gewaltsam und unwiderbringlich zerstört und auf eine Masse von Muskeln, Knochen, Gewebe und Zellen reduziert. Rembrandt hat diese nackte Wahrheit 1655 gemalt. Man muss sich zwingen, hinzuschauen. Was damals zum Alltag gehörte, findet heute hinter verschlosssenen Schlachthoftüren statt.   Dreihundert Jahre später malte Francis Bacon das Schlachttier nach, halbierte es und setzte eine grausige Menschenfigur dazwischen. Nicht einfach irgendeinen Menschen. Einen Papst, modelliert nach einem berühmten Bild von Velazquez. Aussage: Auch der höchste Geistliche ist irgendwo nichts als Fleisch. Pures Fleisch. In dieser Vorweihnachtszeit fällt mir besonders auf, wie das Jesuskind auf vielen Darstellungen alte

Licht Lied

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Alle stehen und sind bereit. Hinter den Masken kann man eine Lächeln ahnen. Trotz allem. Das ,Buurebüebli’ liegt schon auf der Zunge. Da schüttelt der Organist den Kopf. Zwei Tage vorher hatte mich der Sohn noch angerufen. ,Können wir singen,   wegen Corona, meine ich?’ hatte er gefragt. ,Im Moment singen wir noch,’ hatte ich gesagt, und auf die bekannten Massnahmen verwiesen. Beim Eingang hatte er die Liedblätter verteilt. ,Es bleibt dabei?’ hatte ich mich vergewissert. ,Ja, wir singen!’ hatte er genickt. Der Organist kam zu spät. Die entsprechenden Noten aus der Bibliothek zu fischen, hatte er keine Zeit gehabt. Nach dem Eingangspiel huschte er raus und als er zurückkam, hatte er Hefte dabei. Wir standen bereits fürs Lied. Er blätterte. Wir warteten. Schliesslich drehte er sich um und schüttelte den Kopf. Wir sangen auch so. Ohne ihn. , Es Buuerbüebli. ’ Vier Strophen. Fideri fidera . Später noch ‘Luegid vo Bärg und Tal.’ Und schliesslich: ,Abendstille überall’ , als 3-stimmi

Nikolausglück

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Die Wochenzeitung Die ZEIT ist dick. Sie wirklich zu lesen, schaffe ich selten. Immer, wenn mir eine Ausgabe in die Hand kommt, schaue ich jedoch auf die letzte Seite. Die Rubrik ,Was mein Leben reicher macht’ druckt Perlen aus dem Alltag der Leser*innen. Es gibt die Spalte schon viele Jahre. Die Perlenkette würde wohl die ganze Strasse runter reichen. In den gehässigen Zeiten, die wir aktuell durchlaufen, leuchtet sie noch etwas heller. Statt ,Was mich nervt’ sollte man mehr mit der Frage ,Was mein Leben reicher macht’ durch den Tag gehen. In der aktuellen Ausgabe teilt Walter Kremser aus St. Pölten eine Erinnerung an den Nikolaustag 2020 – mitten im Lockdown. ,Wir stehen an den geschlossenen Bahnschranken der Mariazellerbahn. Der Zug nähert sich und wird plötzlich unmotiviert langsam. Die Lokführerin beugt sich weit aus dem Seitenfenster und wirft dem Kollegen im Stellwerkhaus ein knallrotes Nikolaussackerl durch die offene Tür. Dann nimmt der Zug wieder Fahrt auf und rollt