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Es werden Posts vom Januar, 2023 angezeigt.

Schweigen, mehr sagend

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Gestern wieder. Der Genuss eines guten Gesprächs. Bigtalk. Dazwischen und darüber hinaus jedoch oft die Ödnis ermüdender Geschwätzigkeit - auch auf und über nie schlafende Bildschirme. Man denkt, man zeigt Betroffenheit durch dauerndes darüber Reden. Was, wenn genau das eine Form der Verdrängung wäre? Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob es tatsächlich die Sorgen der Corona-Ukraine-Dauerkrise sind, die mich so erschöpfen. Oder die pausenlosen, jede Sonne verdeckenden und dauerend allen Seelenstaub aufwirbelnden Kommunikationsgewitter. Eine grosse, bewegende Trauerfeier. Es war ein volles und langes Leben. Und tiefgläubig. Es gibt viel zu erzählen. Und man darf alles hoffen. Nur für den Schmerz ist kein Platz vorgesehen. Er spürt, dass er hier unerwünscht ist, und trollt sich davon wie ein Hund. Man meint, er sei weg. Dabei wartet er gleich vor der Tür. Ein Vertreter der Zunft wirft gerade der besonders die Hoffnung betonenden Theologie eine 'gnadentheologische Verdrängung des Tode

Gottesdienst? Tatsächlich?

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Zu Besuch bei einer Bewohnerin im Zimmer im Alterszentrum. Mitten im Gespräch kommt auch die Tochter. Ich merke, dass sie Mühe hat, meinen Besuch einzuordnen. Ist es schon so schlimm mit der Mutter? Oder fällt der einfach in die Zimmer ein wie früher die Missionare in afrikanische Dörfer? ,Ihre Mutter kommt regelmässig in den Gottesdienst,' erkläre ich. ,Das letzte Mal versprach ich, mal vorbeizuschauen.' ,Gottesdienst? Tatsächlich? Meine Mutter?' wundert sie sich. ,Das ist mir aber ganz neu. Das war früher nie ein Thema.' Irgendwie möchte sie sich freuen, aber ein innerer Widerstand steht dagegen. Als ich gehe, fällt ihr Dank etwas gar förmlich aus. Ihre Mutter hingegen strahlt. Nur ein paar Schritte und eine Minute weiter. Eine Dreiergruppe erholt sich vom Spielnachmittag. ,Sie sind erst seit etwas einem Jahr hier, nicht wahr?' spreche ich Frau J an, die erst seit kurzem regelmässig den Gottesdienst besucht. ,Nein, schon paar Jahre,' antwortet sie. ,Aber im le

Transit

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Menschen als Inkarnation des Zeitgeistes. Beispiel Mobilität. I. Selbst nannte er sich ,Sir Alfred'. Vielleicht hatte er das von Hitchcock. Er war weltbekannt. Doch kaum jemand in der Welt kannte ihn wirklich. 1988 hatte der Iraner Mehran Karimi Nasseri im Transitbereich des Flughafens Charles de Gaulle seine Papiere verloren. Seinen Flüchtlingsstatus konnte er nicht mehr nachweisen. Er durfte weder weiterreisen noch den Flughafen verlassen. Der Terminal 1 wurde sein Zuhause und seine ganze Welt. Zwar bekam er 1999 ein Visum, blieb aber in seiner Nische unter der Rolltreppe. Erst ein Krankenhausaufenthalt trieb ihn 2006 aus dem Flughafen. Danach lebte er in einem Heim. (Steven Spielbergs Film ,The Terminal' (2004) wurde von Nasseri inspiriert.) Im September 2022 kehrte er wieder in sein altes Zuhause zurück. Er habe mit seinen Habseligkeiten immer an derselben Stelle in einem Trolley gesessen, zuletzt kaum noch gesprochen und ins Leere gestarrt. Anfang November starb er 76

Machtspiele, heillos

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Gestern spät. Ich hatte einen schönen Sonntag. Einen wirklichen Ruhetag. Und plötzlich, am Ende dieses Tags des Herrn , beim Checken der Nachrichten, sitzt da dieser Herr aus Brasilien vor mir, schaut aus dem Fenster auf den Tumult auf dem Platz, und dreht mir den Rücken zu auf dem steht: Gott über alles (Deus acima de tudo). Und ich frage mich: Was zum Teufel hat Gott hier verloren? In einer gespenstischen Wiederaufführung des 6. Januar 2021 in Washington hat eine mit Fahnen, T-Shirts und Baseballmützen bewaffnete Menschenhorde in der brasililanischen Hauptstadt das Parlamentsgebäude, den Sitz des Präsidenten und das Bundegericht gestürmt. Unter ihnen viele rechtsnationale Anhänger der neuen evangelikalen Pfingstkirchen. Sie protestieren gegen das Ergebnis der Präsdentenwahl. Und zeigen, indem sie die drei Säulen der Demokratie angreifen, dass sie davon wenigstens soviel verstanden haben: In einer Demokratie sitzt der die Macht nicht an einem Ort, die Gewalt wird geteilt. ,Du sollst d