Die Uhren stoppt!

Vorgestern war er wieder. Reformierte Kirchenprofis beharren darauf, ihn Ewigkeitssonntag zu nennen, mühsam einen belehrenden Unterton unterdrückend. (Wir wollen doch glaubensperspektivisch optimistisch sein, oder nicht?)

Der Volksmund bleibt stur nüchtern: Totensonntag

In der Kirchgemeinde durfte ich 90 Namen verlesen. Verstorbene des vergangenen Jahres. In den hintersten Bänken sassen still ein paar Konfirmandinnen und Konfirmanden. Was sie bei so viel Tod wohl dachten?
Wir zündeten Kerzen an. ,Stell dir mal die vielen Särge vor,’ sagte die Kollegin.

Manchmal überfällt mich die reine Traurigkeit. Ich komm nicht dagegen an. Ich will es auch nicht. Und mag erst recht nicht gleich etwas Hoffnungsglimmer drüber streuen. Denn in diesem Moment hat sie einfach recht. Auch das Recht, Raum zu haben. Der Tod ist eine Ungeheuerlichkeit.

In dieser Woche befinden wir uns zwischen den Jahren. Das Kirchenjahr ging mit dem Totensonntag zu Ende. Nächsten Sonntag feiern wir Kirchenneujahr: 1. Advent. Bevor es mit den Lichtern losgeht, darf das Herz eine Zwischenzeit weinen und wüten. Es sei so frei. Vielleicht nehme ich am nächsten Totensonntag den Funeral Blues (1936) des Dichters W. H. Auden mit...

Begräbnis-Blues

Die Uhren stoppt, reißt raus das Telefon,
Ein Knochen für den Hund, dann schweigt er schon,
Nein, kein Klavier, nur Trommeln, dumpf und schwer.

Tragt raus den Sarg, die Trauernden ruft her.

Flugzeuge solln im tristen Morgenrot
Groß an den Himmel schreiben: „Er ist tot“,
Die weißen Taubenhälse sollen schwarze Kragen,

Die Polizisten schwarze Handschuh tragen.

Er war mein Nord, mein Süd, mein Ost, mein West,
Mein Werk- und Feiertag, mein Dienst, mein Fest,
Mein Wort, mein Lied, mein Mittag, meine Nacht;

Die Liebe stirbt nicht, dacht ich; falsch gedacht.

Den Sternen sagt: „Wir wolln euch nicht, geht unter!“
Packt ein den Mond und reißt die Sonne runter.
Kippt weg das Meer, den Wald laßt überfluten,

Denn nichts mehr wendet sich ab jetzt zum Guten.

W. H. Auden (im engl. Original, auch vorgelesen, hier)

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

sich selbst zum Narren machen

das echte Schneewittchen

Abschaffung des Glaubens