Nikolausglück

Die Wochenzeitung Die ZEIT ist dick. Sie wirklich zu lesen, schaffe ich selten. Immer, wenn mir eine Ausgabe in die Hand kommt, schaue ich jedoch auf die letzte Seite. Die Rubrik ,Was mein Leben reicher macht’ druckt Perlen aus dem Alltag der Leser*innen. Es gibt die Spalte schon viele Jahre. Die Perlenkette würde wohl die ganze Strasse runter reichen. In den gehässigen Zeiten, die wir aktuell durchlaufen, leuchtet sie noch etwas heller. Statt ,Was mich nervt’ sollte man mehr mit der Frage ,Was mein Leben reicher macht’ durch den Tag gehen.

In der aktuellen Ausgabe teilt Walter Kremser aus St. Pölten eine Erinnerung an den Nikolaustag 2020 – mitten im Lockdown.

,Wir stehen an den geschlossenen Bahnschranken der Mariazellerbahn. Der Zug nähert sich und wird plötzlich unmotiviert langsam. Die Lokführerin beugt sich weit aus dem Seitenfenster und wirft dem Kollegen im Stellwerkhaus ein knallrotes Nikolaussackerl durch die offene Tür. Dann nimmt der Zug wieder Fahrt auf und rollt vorschriftsmässig ins Bahnhofsgelände ein. Der Zug heisst übrigens Himmelstreppe.’ (Die ZEIT, No 49, S. 84)

Beim Lesen kommen mir die Nikoläuse in den Sinn, die ich vergangenen Samstag traf:

,Ich bin auf den Radweg unterwegs nach Hause. Es hat frisch geregnet. Es ist dunkel und kalt. Plötzlich ein anschwellendes Dröhnen. Auf der Strasse preschen zwei Weihnachtsmänner an mir vorbei. Sie sitzen cool zurückgelehnt hintereinander auf einer Harley. Die Maschine ist voller Lämpchen. Die Tanne, die sie hinten reingesteckt haben, blinkt übermütig in den dunklen Himmel hoch. Vor den schwarzen Platanen und den begossenen Pferden ziehen sie eine fröhliche Spur durch die Nacht. Schon lange habe ich nicht mehr so laut gelacht – nur für mich selbst.’

Das Lukasevangelium erzählt mal die Geschichte von 10 Aussätzigen (Lukas 17, 11 - 19). Jesus hat sie geheilt. Allen geht es gut. Doch nur einer kommt und sagt ,Danke’. Er erfüllt damit nicht das Gebot der Höflichkeit. Er tauscht sein Glück in die Währung um, die die Schatzkiste des Lebens füllt. Das wird sein Leben reicher machen.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

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