O Gottes Engel wehre

Wir besprechen eine Trauerfeier.
,Ist Ihnen sonst noch was wichtig?'
,Ja, ich möchte nicht, dass wir das Unservater beten. Das ganze mit der Schuld und so. Ich finde das heute daneben.'
,Aber es gibt sie halt - leider,' entgegne ich kleinlaut und notiere ,kein UV'.

Beim Gedanken an den Krieg ist mir in den letzten Tagen oft Else Lasker-Schüler durch den Sinn gegangen: ,Es ist ein Weinen in der Welt / als ob der liebe Gott gestorben wär.'
Nun, auf der Heimfahrt mit dem Fahrrad, fällt mir plötzlich Matthias Claudius' ,Kriegslied' ein, das mit dem doppelten schrecklichen Klageruf beginnt: ,'s ist Krieg! 's ist Krieg!'
Zuhause schlage ich es auf. Es berichtet vom schrecklichen äusseren Geschehen. Es scheint 1778 nicht anders gewesen zu sein als heute. Und endet in der ersten und letzten Strophe zuinnerst im Eigenen: ,- und ich begehre,/ nicht schuld daran zu sein!'

Wir können uns darauf einigen, nicht über Schuld zu reden und zu beten. Weniger wird sie deshalb nicht. Matthias Claudius war bestimmt an keinem Krieg schuld. Doch gerade in diesem Zusammenhang stellte sich ihm die Frage mit aller Schärfe. Warum? Weil die gegenseitige Verantwortung und Verbundenheit nie so deutlich wird wie dann? Oder die Tatsache, dass man sich nie ganz heraushalten kann, und wenn man es noch so möchte?  

Dies Frage ist auch die, die der Leidensweg von Jesus stellt. In der Passionszeit erinnern wir uns besonders daran. Sie hat diese Woche mit dem Aschermittwoch begonnen.

’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nicht schuld daran zu sein!

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch




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