Denkmal für Alexei

Es ist eine Meldung am Rande. Als Abgeordneter des Stadbezirks hatte Alexei Gorinow sich in einer Diskussion über Kindervergnügungsprogramme gegen Tanzveranstaltungen und Zeichnungswettbewerbe ausgesprochen. Während im Nachbarland durch den Einmarsch der russischen Armee täglich Kinder ums Leben kämen, wäre das unangebracht, meinte er. Es ginge jetzt vor allem darum, alles zu tun, dass dieser Krieg aufhöre.

Das hätte er nicht sagen sollen. Es ist anzunehmen, dass er es wusste. Nun stand Alexei dafür im Glaskasten in Handschellen wie ein Schwerverberecher vor Gericht. Er hatte die Sache beim Namen genannt. Parlamentskollegen durften Öl ins Feuer nachgiessen. Zeugenaussagen der Vertidigung wurden als ,subjektiv' abgetan. Für ,Verleumdung der Armee' wurde Alexei zu sieben Jahren Straflager verurteilt. Ich weiss nicht, wie schwer ein Gewaltverberechen n Russand sein muss, um sieben Jahre Straflager zu kriegen. In einer vekehrten Welt wiegt ein Wahrheitsverbrechen ungleich schwerer. Atemberaubend wie die Unrechtjustiz in totalitären Staaten sich gleicht. Durch alle Zeiten.

Da fragte Pilatus Jesus:
»Wahrheit – was ist das?« (Johannes 18, 38)

Eine Stimme sagt: ,Alexei war dumm oder naiv. Er hätte es wissen müssen.' Kurz meldet sich diese Stimme auch in mir. Doch dann bin ich überzeugt, dass sich diese Frage Alexei gar nicht stellte. Es gibt Dinge, die kann man nicht dem Kalkül unterwerfen. Die marktförmige, uns in Fleisch und Blut übergegangene Kosten-Nutzen-Analyse greift da nicht.
Glücklich die Menschen, deren Alltag keine solche Fragen stellt.
Oder hören sie sie nur nicht?

Die alte Kirche hat unzählige Menschen, die für ihre Überzeugung litten, zu Heiligen erhoben. Die meisten wussten, was sie erwartete. Sie konnten trotzdem nicht anders. Noch heute gedenkt man ihrer.

Ein Denkmal wird Alexei nicht kriegen. Nicht heute in seinem Land. Sieben Jahre sind eine unvorstellbare Zeit. Vielleicht könnten wir ihm ein Denkmal bauen, in unserem Gedächtnis.
Eigentlich schade, dass wir in unserer Kirche niemand mehr heilig sprechen. Uns mit seinem Vorbild heiligen kann er auch so.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch



 

 

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