,Buebeleiterli'

Reise ins Burgund. Nach vielen Jahren stehe ich wieder vor dem Tympanon über dem Eingangsportal der Kathedrale Saint Lazare in Autun. Der auferstandene Christus hält Gericht und tut die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen. Die meisten Bildaussschnitte konzentrieren sich auf die Dämonen links von Christus, die sich mit filmreifen Beisserchen über die Seelen hermachen, die zuviel auf die Waage bringen. Das Höllenkröpfchen mit Gewalt und Action gab auch vor 900 Jahren mehr her als das Himmelstöpfchen der Seligen. 

Dennoch bleibt mein Blick diesmal länger auf der rechten Seite des Richters hängen. Um Petrus mit dem Schlüssel drängen sich Engel und Gerettete. Die erlösten Seelen sind nackte Kinder. Sie könnten gerade aus einem Kinderbad von nebenan gekommen sein, noch nass hinter den Ohren. Von einem Balkon über den Köpfen schauen bereits Angekommene durch Rundbögen wie Opernbesucher von der Loge. 

Erst mit der Zeit fällt mir der Engel auf, an dessen Bein ein Kind hängt. Er stemmt ein Kind in die Höhe so wie Vater oder Mutter ihrem Kind helfen, in den Baum zu kommen, das es besteigen will. Nur noch die Beine schauen unten raus, während Kopf und Brust bereits oben verschwunden sind. Das Kind am Bein des Engels wird dann als nächstes am Zug sein.

Mir geht durch den Kopf, wie wir uns als Kind früher hoch, zB in einen Baum, geholfen haben. Nach oben offene ineinandergeschobene Hände wurden zum Steigbügel für fremde Füsse. Kletternd hielten ihre Hände sich an unseren Schultern und Köpfen fest. ,Buebeleiterli'. 

Ich denke:
Die Pädagogik des Glaubens faltet die Hände so, dass andere daraufstehen und hochsteigen können.
Die erwachsene Hoffnungsgeneration wünscht sich nichts so sehr, als dass die nächste dem Himmel näher kommen kann.
Dem Himmel näher kommt man, nach damaligen Verständnis, indem die Seele nicht mit Bosheit und unnützen Dingen beschwert, sondern mit guten Dingen hell, leicht und luftig hält - himmlisch eben.
Wer seinen Kindern so hoch hilft, ist ein Engel.
Wer seine Seele so leicht macht, ist ein Himmelskind.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

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