königlich begraben

Zehn Tage nach ihrem Tod findet die Queen heute die letzte Ruhe. Das Begräbnis wird weltweit live übertragen. London platzt von Menschen, die ihr die letzte Ehre erweisen wollen, aus allen Nähten. Aus der ganzen Welt sind Würdenträger angereist. Normalsterbliche verabschieden eine Normalsterbliche gänzlich unnormal. In den Newsstreams kann man den Abschied im Liveticker verfolgen.

Der Beisetzung ging eine Reise von Schloss Balmoral nach Edinborough voraus, wo sie zunächst in den Holyrood-Palast und dann in die St.-Giles'-Kathedrale gebracht wurde. Vergangenen Dienstag ging's weiter nach London, in den Buckingham-Palast, von wo sie in einer Prozession durch die Innenstadt zum Palace of Westminster im House of Parliament überführt wurde. Schliesslich folgte heute dann der Weg in die Westminster Abbey zur Trauerfeier, bevor sie dann in der St.-George-Kapelle auf dem Gelände von Schloss Windsor ihre letzte Ruhestätte findet. Alles begleitet von viel Pomp and Circumstances, Kanonenschüsse, Fanfaren, Schweigeminuten, Fahnengrüsse, Totenwachen, Kondolenzbüchern, Kameras  und Souvenirverkäufern. Staunend verfolge ich, wie lang und aufwändig letzte Wege sein können. Und wie die Reise einer Leiche in einem Sarg Millionen von Menschen in den Bann schlägt. Ob die Queen in ihren alten Tagen manchmal daran gedacht hat, was nach ihrem Tod noch mit ihr geschehen wird? Wie die Volksseele sie auch noch mystifizieren wird, wenn sie längst nur noch Köper ist, seelenlos und entpersönlicht? Ihr Geist ist weitergezogen. Ihre vergängliche Materie begeistert weiter. Eine Art Materialismus, der mich ebenso berührt wie befremdet.

Ich denke kurz an Michail Gorbatschow, der nur wenige Tage vor ihr starb. Er hat das Leben unzähliger Menschen verändert. Er wurde still und verschämt beigesetzt. Putin war unabkömmlich.

Die letzte Reise Abraham Lincolns dauerte drei Wochen. Nach seiner Ermordung am 14. April 1865 in Washington wurde er in einen Sarg gebettet und trat in einem Sonderzug seinen finalen Weg nach Springfield an. Er führte über zahlreiche Städte wie New York oder Chicago, wo jeweils Prozessionen und öffentliche Trauerfeiern abgehalten wurden. Schliesslich wurde Lincoln am 5. Mai in einem kleinen Kreis in seiner ehemaligen Heimatstadt beigesetzt.

Die Gebeine der Drei Könige wurden im 12. Jahrhundert von Mailand über die Alpen gebracht. Ihre Ruhe, die sie dort nach der Legende für über 800 Jahre gefunden hatten, erwies doch nicht als die letzte. Nach der Eroberung Mailands schenkte sie Kaiser Barbarossa dem Kölner Erzbischof. Dieser liess sie über die Alpenpässe transportieren und den Rhein hinunter verschiffen. Wo immer der Tross Halt machte, hinterliessen die Drei Könige ihre Spuren. Auch in Basel. Die Reliquien der sozusagen ,ersten christlichen Könige' verliehen dem Kaiserreich einen Heiligenschein und bedeuteten einen Höhepunkt im globalen Handel der damaligen Zeit. Schliesslich wurden die Drei Könige im Kölner Dom beigesetzt und verliehen der Stadt einen unschätzbaren Standortvorteil im Wallfahrtstourismus.

Wohin geht die letzte Reise? 

Fug und Unfug der Totenverehrung besetzen heute meine Gedanken. Und plötzlich leuchtet mir die eigenartige Himmelfahrt Christi von einer ganz ungewohnten Seite ein. Wie gut, dass nichts von ihm materiell auf Erden geblieben ist. Nicht auszudenken, was wir Menschen daraus gemacht hätten...

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch


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