weiter singen

Ich beneide Menschen, die ihre Grundfragen mit Gott wie mit einer alten Freundin besprechen können. Und dann für sich Antworten finden, die für sie stimmig sind und doch nicht nur mit sich selbst ausgemacht wurden.
Es ist eine Art zweite Naivität, die bei mir künstlich wäre. Und enthält irgendwie das 'werdet wie die Kinder' von Jesus.

Gleich zwei solchen Menschen begegne ich beim Lesen. Bei beiden Musikern geht es um das Alter und das Aufhören. Ob solche Unmittelbarkeit mit dem Alter wieder näher kommt?

Mavis Staples, 82, Blues- und Soulsängerin

Staples geht am Sonntag nicht mehr zur Kirche. Sie hat ihren Glauben nicht verloren; nur ihre Gewohnheit. Sie schickt ihren Zehnten weiterhin an die Trinity United Church of Christ, in Chicago, doch wie war seir Jahren nicht mehr dort. “Ich kann in meinem Kämmerlein gehen und beten,” sagte Staples. “Ich muss nicht in die Kirche gehen. Die Kirche ist ein Gebäude. Ich bin die Kirche.” Sie löst ihre schwierigsten Probleme zuhause, doch mit etwas Hilfe. “Am anderen Tag redete ich daüber, in den Ruhestand zu treten. Doch dann dachte ich: Was mache ich dann?” sagte sie. “Ich dachte einfach: Ws macht diese zweiundachtzigjährige Frau mit diesen Jungen auf der Bühne? Ich möchte niemandem zur Last fallen. Speedy, mein Tourneemanager, muss mir in den Wagen helfen. Am Flughafen benütze ich einen Rollstuhl. Einige Betten sind zu hoch und ich muss Anlauf holen!
Ich sprach mit Gott. Ich fragte ihn: Lord, warum bin ich noch da? Meine ganze Familie ist bereits gestorben. Was willst du von mir? Was soll ich machen? Lässt du mich hier für einen bestimmten Zweck?'
Und den einzigen Grund, den ich sehen kann, ist, meine Lieder zu singen.”
(The New Yorker, 4.7.2022)

Charles Lloyd, 84, Jazzsaxophonist

“Was mich jünger als den Frühling hält, ist, dass ich immer noch lerne, immer noch wachse. Ich habe Erfahrung, aber ich habe die Einstellung eines Anfängers - und das ist ein Segen.” Er dachte darüber nach, kürzer zu treten. “Der Schöpfer hält eine Karrotte an einem Stecken, ” sagte er. “Und er sagt: ,Nicht jetzt, Charles.' Ich versuche, so hoch zu kommen, doch ich spring immer zu kurz. Das ist ein anderer Grund, weshalb ich nie aufhörte: Ich war noch nie gut genug, um aufzuhören.” (TNY, 8.8.2022) 

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

 

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