Oud

An den Wassern zu Babel sassen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten.
Unsere Harfen hängten wir an die Weiden im Lande.
Psalm 137, 1-2


Am Ende spielt er seine Oud wieder. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Und in seinen Augen spiegelt sich ein gutes weites Land.

Omar ist auf einer schottischen Insel am Ende der Welt gelandet. Zusammen mit Farhad aus Afghanistan und zwei Flüchtlingen aus Afrika ist er in einem jener Leichtbauhäuser untergebracht, in denen die Zeit seit 30 Jahren stehen geblieben ist und die Wasserflecken auf Kunstfaserteppich und Tapete namenlose Geschichten erzählen. Auch wenn sie alle englisch sprechen, bleiben sie für die die paar Nachbarn Menschen von einem anderen Planeten - und die Nachbarn bleiben das auch für sie.

Sogar auf dem Mittelmeer sei der Handyempfang besser gewesen, sagen sie zueinander und begeben sich regelmässig zur einzigen Telefonkabine auf der Insel. Während Omar mit seinen Eltern ins Istanbul telefoniert, stehen die anderen mit ihren Plastikregenschützen im Wind wie Wettertannen im Jura und sind in ihrer je eigenen Welt.

Als Omar aus seiner Heimat flüchtete, ging sein Bruder Nabil in den Widerstand. Eine Trennung im Streit. Seither haben sie nicht mehr voneinander gehört. Auch seine Eltern in Istanbul hatten keinen Kontakt zu Nabil. Omar schleppt seine Oud im Koffer mit sich über die Insel 'als sei sie seine Seele' (Farhad), doch bringt darauf keinen Ton mehr heraus. 

Als seine Eltern nach Monaten endlich wieder ein Lebenszeichen von Nabil erhalten, versucht auch Omar ihn zu erreichen. Erfolglos. Doch nicht ganz. In einer einsamen Hütte sieht er seinen Bruder vor sich und spricht sich mit ihm aus.
,Ich habe Angst.'
,Wovor?'
,Um dich. Du hast nie Angst gehabt.'
,Stimmt nicht. Ich hatte immer Angst vor den nassen Küssen der Tante. Mutter musste uns ihren Lippenstift mit einem Waschtuch vom Gesicht rubbeln.'
Sie schauen sich an. Ihre Verschiedenheit findet sich in ihrer Gemeinsamkeit.
,Spiel mir was auf der Oud. Deine Musik war immer deine Sprache. Wenn du nicht spielst...' ,....bin ich tot.' 

Als er vor die Hütte tritt, ist es Nacht geworden und das Nordlicht durchweht mit grünem Vorhang  die Dunkelheit.

Ein paar Tage später erlebt die Insel einen kulturellen Abend. Der Afghane Farhad lädt zu einem Konzert seines syrischen Freundes in die Townhall. Das ganze Dorf ist da. Und ist, als Omar seine Oud spielt, nicht nur da, sondern auch dort, wo Omar ist.

,Limbo' heisst der britische Film (2020). In lakonischen Bildern und tragisch-komischen Szenen erzählt er von der Heimatlosigkeit der aus ihrer Welt geworfenen Menschen und ihrem Heimweh. Aber auch von der Beheimatungskraft der Musik und von der Notwendigkeit der Versöhnung mit dem ,Bruder'.

In der mittlalterlichen Theologie bezeichnet Limbo das Zwischenreich der Seelen, die nicht verdammt sind, doch denen der Himmel verschlossen ist. (ZB ungetaufte verstorbene Kinder gelangen dorthin).  

An diesem Wochenende feiern wir Ewigkeitssonntag.
In der Zeitung lese ich von den Überlebenden in Cherson, die ihre Heimat wiedergewonnen haben, auf den Strassen singen und nicht wissen, wie sie in ihrer zerstörten Stadt durch den Winter kommen.
Es ist so eine Sache mit der Heimat.
Sie reist manchmal mit.
Und ist schon da, wo man nicht denkt.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

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