Kindernichtwunsch

Ob wir Kinder haben wollten, war für uns keine Frage. Die Frage war höchstens, ob wir Kinder kriegen könnten, und ob wir in der Lage sein würden, gut für sie zu sorgen. Diese Selbstverständlichkeit hat damit zu tun, dass wir selber aus kinderreichen Familien stammten. Aber wohl nicht nur. 

Wir haben es auch nie bedauert, dass sich uns diese Frage - Wollen wir Kinder? - nicht gestellt hat. Wir hatten das Glück, dass der Gedanke, dass es auch schlecht sein könnte, Kinder zu haben, gar nie aufkommen musste. Das ist heute bei vielen anders. 

Das sagt etwas über die Welt aus, in der wir leben und in die unsere Kinder geboren werden. Die Zukunftsaussichten sind trüb wie schon lange nicht mehr. Zum Nachdenken über Kinder gehört nun auch der Gedanke, ob man in diese Welt ein Kind setzen kann. Die Entscheidung dagegen trägt nun auch das moralische Kleid eines besonderen Verantwortungsbewusstseins.

Ebensoviel, so denke ich, sagt diese neue Aktualität der Kinderfrage aber auch etwas über die Zeit aus, in der wir leben. In einem immer stärker durchorganisierten Alltag, in dem sich die gesellschaftlichen (Medizin, Wirtschaft, Politik) und persönlichen Interessen die Hand reichen, bedeutet eine Geburt Unverfügbarkeit pur, eine Überraschung und Intervention, wie man sie sonst kaum mehr erlebt, und im Kosten-Nutzen-Denken ein Investition, an die nur ein Eigenheim heranreicht. Ein fremdes Leben bricht ins eigene Leben ein und gefährdet, selbst wenn geplant, mit seinen Unwägbarkeiten das sorgsam ausbalancierte System des eigenen und gemeinsamen Lebens. Fremdbestimmung stösst ihren Keil in unser Autonomiebestreben. 

Ein Kind ist ein selbst herbeigeführter Kontrollverlust, der heute - in Zeiten der Verhütung, Familien- und Karriereplanung - eine starke bewusste Entscheidung dafür verlangt. Der ,Zustand der Welt' zieht da nun noch eine weitere Argumentationsebene ein. Und die Dauerfrage ,Identität' legt ebenfalls nach.

Laurie Ann Paul ist Professorin für Philosophie und Erkenntnistheorie. In ihrem Buch 'The Parenthood Dilemma' schreibt sie, eine Person, die vor diese Entscheidung gestellt sei, operiere zwangsläufig aus einer armseligen Wahrnehmungsposition heraus.  

,Das Sehen und Berühren des eigenen neugebornen Kindes trägt in sich einen in Bezug auf unser Wissen einmaligen und auf unsere Person transformativen Charakter.'  

Du kannst im Voraus nicht wissen, was dich erwartet. Du weisst nicht mal, für wen du dich entscheidest, wenn du dich entscheidest - weder kennst du dein künftiges Kind noch die künftige Elternperson, die du selbst wirst, noch erst recht die Elternperson, die dein Partner werden wird.  

Ein Kind kriegen bedeutete schon immer, zu wissen, dass man vieles von dem nicht weiss, was kommt. Nun bedeutet es auch, nicht zu wissen, welche Welt dieses Kind in 20, 50 oder 80 Jahren noch vorfinden wird. Das ist die grosse Tragik der jetzigen Generation. Die bleibende Frage jedoch bleibt: Wieviel Gewicht wird diesem Nichtwissen gegeben? Kann Nicht-Leben besser als Leben sein? 

Philipp Roth   

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

 


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