ein ganz gewöhnlicher Tag

Der Advent bringt die Zeit unter Zugzwang. Sie wird mit Sehnsucht, Erwartung, Wünschen aufgeladen. Sie erhält eine Richtung, eine Grundstruktur. Die Tage werden auf die Zukunft hin gebürstet. Die Zeit drängt auf Erfüllung hin. Das Beste kommt noch. 

Das ist die Stärke der Adventszeit. Sie hebt die Tage aus dem Einerlei heraus und gibt ihnen eine besondere Bestimmung. Der Adventskalender dramatisiert das Crescendo. Der Glühwein hält das Feuer bei Laune. Nie wird besser spürbar, dass es noch ganz anders sein könnte. Das ist Sehnsucht und Schmerz. Die heile Welt muss erst noch geboren werden. Jetzt ist Winter. Der Frühling kommt.

Doch wie so oft ist diese Eigenart auch die Schwäche der Adventszeit. Die Erfüllungshoffnung ist für die Konsumwirtschaft aufs beste anschlussfähig. Aus dem kleinen Messias wird die grosse Bescherung. Der Zug der Zeit wird zur Hektik der Vorweinachtszeit. Und das nicht nur einmal, sondern alle Jahre wieder.
Zudem verstärkt der Advent das Unbehagen an der Gegenwart. Die Erwartung, das Gute in der Zukunft zu finden, wird bestätigt. Der Glaube, der besondere Tag kommt erst, erhält täglich recht. Falsch verstanden lebt der Adventsmensch nicht im Heute, sondern im Morgen. Er schiebt das Leben vor sich her. Um vielleicht nach soundsovielen Adventszeiten ernüchtert festzustellen, dass es nun wohl hinter ihm liegt.

Bei diesen Gedanken stosse ich auf ein kleines Gedicht von Susanne Kilian. Man ist rasch versucht zu sagen, der wichtigste Schritt beim Weg auf einen Berggipfel sie der letzte. Doch niemand, der Berge besteigt, würde das bestätigen. Der wichtigste Schritt ist immer der Schritt, den ich jetzt gerade mache. Ohne diesen komme ich nie hoch.
Der besondere Tag ist der heutige Tag. Der Zugzwang der Adventszeit schärft nicht nur den Blick für das Kommende, sondern geradeso für die Bedeutung dessen, was jetzt ist.

Manchmal

Manchmal
wachst du erwartungsvoll auf:
Der Morgen.
Der ist so neu
wie keiner vorher.

Alles ist ganz anders.
Sogar wie die Sonne scheint.
Und du denkst:
Heute wird etwas geschehn.
Etwas,
was es nie vorher gab.
Und du wartest darauf.

Du wartest die ganze Zeit.
Aber nichts geschieht.
Ein ganz gewöhnlicher Tag ging vorbei.
Nur der Morgen war neu
und so anders.

Susanne Kilian

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

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