Gottesdienst? Tatsächlich?

Zu Besuch bei einer Bewohnerin im Zimmer im Alterszentrum. Mitten im Gespräch kommt auch die Tochter. Ich merke, dass sie Mühe hat, meinen Besuch einzuordnen. Ist es schon so schlimm mit der Mutter? Oder fällt der einfach in die Zimmer ein wie früher die Missionare in afrikanische Dörfer?
,Ihre Mutter kommt regelmässig in den Gottesdienst,' erkläre ich. ,Das letzte Mal versprach ich, mal vorbeizuschauen.'
,Gottesdienst? Tatsächlich? Meine Mutter?' wundert sie sich. ,Das ist mir aber ganz neu. Das war früher nie ein Thema.' Irgendwie möchte sie sich freuen, aber ein innerer Widerstand steht dagegen. Als ich gehe, fällt ihr Dank etwas gar förmlich aus. Ihre Mutter hingegen strahlt.

Nur ein paar Schritte und eine Minute weiter. Eine Dreiergruppe erholt sich vom Spielnachmittag. ,Sie sind erst seit etwas einem Jahr hier, nicht wahr?' spreche ich Frau J an, die erst seit kurzem regelmässig den Gottesdienst besucht. ,Nein, schon paar Jahre,' antwortet sie. ,Aber im letzten Jahr dachte ich, ich könnte ja mal gehen und danke sagen. Und dann tat das so gut, dass ich seither komme.'

Das neue Jahr ist noch jung. Ich freue mich darüber, dass es auch für Hochbetagte Neuanfänge gibt. Manchmal hindern uns schlechte Erinnerungen oder Vorurteile - welche nach vielen Jahren oft schwer auseinanderzuhalten sind - was ganz Gutes zu erleben. Die Vergesslichkeit des Alters kann auch die Gnade beinhalten, solche alten Widerstände oder Klischees abzulegen und überrascht zu werden.
Und mal gehen und danke sagen ist immer eine gute Idee.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

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