fake life

Fake it, 'til you make it. 

Was einst die Masche einzelner Selfmade-Men und Hochstaplerinnen war, scheint im Zeitalter, in dem jeder Mensch sein eigenes Medienhaus ist, zur beliebten Kommunikationsstrategie geworden zu sein. Man muss eine Lüge nur oft und lange genug widerholen, dann setzt sie sich durch. Da können Whistleblowers wie die Spatzen was anderes von den Dächern pfeifen. Sie werden übertönt oder zum Verstummen gebracht. So richtig unwiderstehlich aber wird die Lüge, wenn man sie selbst glaubt. 

,Tut er nur so oder glaubt er selbst daran?' Ich erinnere an die unzähligen Diskussionen beim letzten amerikanischen Präsidenten. Man fragte sich bei seinen Twittergewittern und endlosen Salven 'alternativer Wahrheit', ob er so intelligent sei, dass er damit eine Strategie verfolge, oder so dumm, dass er selbst zwischen Wirklichkeit und Wahn nicht unterscheiden könne. Ein Restanstand oder - unglauben verhinderte es auf unserer Seite meist, ganz auf das Letztere zu setzen. Dabei war unsere Frage in seinen Augen (in seinem Bauch...) wohl so ,europäisch', dass er sie gar nicht verstanden hätte. Wahr ist, was sich durchsetzt und gewinnt. ,The winner takes it all!' und definiert dann auch die Geschichte von dem, was vorher war. Der Streit um die amerikanischen Schulbücher in gewissen Bundesländern - Darstellung des Sklaverei, Evolution, Sexualkunde - wird nicht von Historiker*innen, sondern von Politiker*innen geführt (und ihren aufgepeitschen Aktionsgruppen). Es geht nicht darum, was wirklich war, sondern was man will und wie es heute wirkt. In der Kommunikation unterscheidet man zwischen schwarzer und weisser Lüge. Eine weisse Lüge ist eine Unwahrheit, die gut gemeint ist. Sei ist deswegen kein bisschen weniger eine Lüge. Gut gemeint war auch früher schon oft das Gegenteil von gut.

,Die Kraft des positiven Denkens' ist eine Religion, der die Transzendenz ausgetrieben wurde. Im Grund wendet sie das Zutrauen, dass der Glaube Berge versetzen kann, auf das eigene uramerikanische Streben nach Glück und Erfolg an. Norman Vincent Peale, der das Buch mit besagtem Titel schrieb, war methodistischer Pfarrer und Freimaurer. ,Du musst nur lange und fest genug an das glauben, was du erträumst, und es wird werden.' Natürlich produziert dieses Prinzip unendlich viele Geschichten vom Scheitern, viel mehr als solche des Erfolgs. Doch es sorgt auch gleich dafür, dass diese Geschichten nicht weitererzählt werden. Denn vom Scheitern berichten bedeutet ,nicht positiv Denken' - also behält man es für sich und träumt weiter. 

Fake it, 'til you make it.

Geradezu die auf die absurde Spitze getriebene Inkarnation dieses Prinzips scheint der Republikaner George Santos darzustellen. Seine ,Identität' scheint sich vollends in der Aussenwirkung aufgelöst zu haben. Und ich frage mich bestürzt, wie sich das wohl innen anfühlt. Ob da noch ein Innen bleibt als Wahrheitskern im Lügenwirbel?

 «Ich bin die Verkörperung des amerikanischen Traums», hatte der neu gewählte republikanische Abgeordnete George Santos während seiner Kampagne gesagt, in der er einen zusammenphantasierten Lebenslauf zum Besten gab. Er behauptete fälschlicherweise, er sei jüdisch und seine Grosseltern seien Holocaust-Überlebende, seine Mutter habe eine leitende Stelle in der Finanzbranche innegehabt und sei bei den Anschlägen vom 11. September 2001 ums Leben gekommen, er habe einen Universitätsabschluss und habe an der Wall Street als Investor gearbeitet, verfüge über ein grosses Vermögen und sei Betreiber einer Tierschutzorganisation.

Santos bezeichnet sich als homosexuell und lebt nach eigenen Angaben mit seinem Ehemann zusammen. Bis 2019 war er jedoch mit einer Frau verheiratet, von der er sich zwei Wochen vor Bekanntgabe seiner Kandidatur für ein Mandat im Repräsentantenhaus scheiden liess, was er nie erwähnte. Er stammt in Wirklichkeit aus einer katholischen Familie, seine Mutter war Putzfrau, und über höhere Bildung verfügt er nicht. Nach der Highschool verbrachte er mehrere Jahre in Brasilien, wo er offenbar als Dragqueen arbeitete.

Es ist faszinierend, dass Santos mit seinen Lügen so lange davonkam. Es wäre ein Leichtes gewesen, seine fabrizierte Biografie zu überprüfen. Aber offenbar bestand kein Bedürfnis danach. Sie klang schillernd, und man wollte sie glauben. (Georg Signer, NZZ, 11.2.2023)

Gib acht auf dein Herz, mehr als auf alles andere!
Denn davon hängt dein Leben ab.

Lass deinen Mund die Wahrheit nicht verdrehen!
Nichts Verkehrtes soll über deine Lippen kommen.
Die Bibel, Sprüche 4, 24f

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

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