sondern eine neue haut

Ich bin kein grosser Beter. In meinem Glauben an Gott ist der Glaube daran, ihn mit meinem Gebet manipulieren zu können, nicht enthalten. Ich stelle mir nicht vor, dass er für seine Verbundenheit mit dem Leben auf meine Hinweise angewiesen ist. Im Spital versuche ich den Impuls zu unterdrücken, für die Heilung zu beten, sondern danke für die vielen Möglichkeiten der Medizin bei uns und bitte um Vertrauen, in allem gehalten zu sein.
Mein Gebet arbeitet nicht an Gott. In ihm arbeitet, wenn schon, Gott an mir.

Ist das Gebet der Atem des Glaubens, dann atme ich meist ziemlich flach. Die Vorstellung, dass das Gebet die Sprache meines Herzens ist, lässt mich erröten. Die Sprache meines Herzens enthält immer noch die Spuren vom Quengeln des Kindes, das ich mal war, von den Gefühlsstürmen des Halbwüchsigen und von den wirklichkeitsfremden Überzeugungen des Erwachsenwerdenden. Man kommt der Wahrheit nicht näher, wenn man auch noch das Mikrophon daran hält. 

Wenn ich bete, suche ich nicht die Bewegung zu mir hin, sondern von mir weg. Ich leihe mir diese einzigartige Sprachform, um mich zu zerlegen, aufzudröseln, sozusagen auf Abstand zu gehen zu mir selbst. Ich hangle mich von mir weg und suche mich zaghaft betend und suchend formulierend von meinen oft widerstrebenden Hegungen und Regungen zu lösen. Ich verschaffe mir Luft von mir und ich anerkenne, dass ich mir allzu rasch selbst auf den Leim gehe und mich in dieser Welt bewege, als sei ich selbst die grosse Quelle der Offenbarung. Das Gebet bewegt mich, im besten Fall, zu Gott hin. Und nicht Gott zu mir.

Betend relativiere ich mich selbst und übe mich ein in eine Sicht auf Mitmenschen, Zeit und Welt, in der ich kleiner Teil und nicht Mittelpunkt des Ganzen bin. In der - im besten Sinn des Wortes - fremden Sprache gehen mit Dinge auf und kommen mir nahe, auf die ich nicht selber kommen würde. Sie machen mich besser als ich bin.

Not lehrt beten, sagt man. Und meint damit, dass in der Not auch Menschen zu beten beginnen, die es sonst nicht tun. Doch lehrt Not nicht nur das Beten an sich. Sie lehrt, so hoffe ich, auch, sich klar zu werden, wofür ich bete. Krankheit lehrt beten. Krieg auch. Doch mit Gesundbeten oder Nationalbekenntnis hat das Gebet, so wie ich es verstehe, nichts zu tun.
,Dein Reich komme. Dein Wille geschehe.'
Was manchmal schön fremd scheint, leuchtet da mit einem Mal ein.

herr
ich weigere mich
das gebet als waffe einzusetzen
ich wünsche es als einen fluss
zwischen zwei ufern
denn ich suche weder strafe noch gnade
sondern eine neue haut
die diese welt ertragen lässt

SAID  (Psalmen, München 2007, S. 49)

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

 




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