ewig wogendes wasser


Auf der Website der Zeitung die Bilder der Woche.
Darunter der Kirchturm eines in einem Stausee versunkenen Dorfes im Norden Italiens.
Ein Schuhnagel im Blau.
Er erinnert an das Untergegangene und verankert es im Himmel.
Er zieht das Oben nach unten.
Das ewige Blau spiegelt sich im See.

Anschmiegsames Wasser.
Selbst dann noch tröstlich, wenn es überschwemmt.
Die Sommerferienhitze treibt die Menschen ans Wasser.
Sie stürzen sich hinein und lassen sich überschwemmen.
Tägliche Tauferinnerung ohne es zu merken.

Der Adam (,Mensch') als Mose (,aus dem Wasser gezogen'; Exodus 2, 10).

-

Ich führe meinen Zettelkasten nach.
Darunter ein Gedicht der Afroamerikanerin Lucille Clifton.
Die Begegnung mit dem Wasser wird zur Begegnung mit sich selbst.
Und zu einem Segen nicht nur für die Sommerferien,
sondern das Unterwegssein über den Lebensozean.

die boote segnen

möge die flut
die gerade jetzt steigt
der rand unseres verstehens
dich hinaustragen
über das angesicht der angst
mögest du küssen
den wind und dich dann abwenden
überzeugt
er werde deinen rücken lieben      mögest du
deine augen öffnen zum wasser
ewig wogendes wasser
und mögest du in deiner unschuld
segeln von diesem zu jenem

Lucille Clifton, 2000
(Übersetzung PR)

blessing the boats    (at St. Mary's)

may the tide
that is entering even now
the lip of our understanding
carry you out
beyond the face of fear
may you kiss
the wind then turn from it
certain that it will
love your back     may you
open your eyes to water
water waving forever
and may you in your innocence
sail through this to that
 

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch




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