letzte Hütte

Gestern war Ewigkeitssonntag. In der Kirche sitzen die Toten nochmals unter den Lebenden. Im Licht der eigenen Vergänglichkeit eine Zumutung. Im Licht der Ewigkeit ganz tröstlich. Vorne brennt ein Meer von Lichtern. Das ewige Licht leuchte ihnen.

Meine Leibzeitschrift bringt eine Reportage über einen schwedischen Architekten. Es geht ihr um dessen Kreativität. Doch darin verpackt steckt eine Geschichte zum Ewigkeitssonntag. Sie berührt mich. Das letzte Haus seines Vaters war das erste des jungen Architekten. Er heisst Hedström.

Hedströms Vater Bo hatte zeitlebens Pläne geschmiedet, Häuser und Hütten gezeichnet und wieder verworfen, um am nächsten Morgen mit neuen Ideen zu kommen. Selten war was daraus geworden. 

Als Hedström eines Tages zuhause anruft, erfährt er, dass es schlimm steht um seinen Vater. Untersuchungen zeigen Krebs in Kopf, Lunge und Magen. Die Ärzte geben ihm noch drei Monate.

In seiner ersten Nacht im Spital macht Bo wieder Pläne. Er zeichnet ein neues Haus. Es ist ein Haus zum Sterben.

Hedström zieht ins Haus des Vaters, besucht am Morgen seine Vorlesungen und baut am Nachmittag und am Abend auf der Wiese hinter dem alten Haus das neue nach Bo’s Zeichnung.
Das Haus heisst ,Blick nach Norden‘. Es ist klein und einfach und ganz aus Holz. Innen roh und aussen schwarz. Ein kleiner Steg geht vom Haus weg, als führte er über Wasser.

Hedström fühlt sich zum ersten Mal so richtig als Architekten. Ein Menschenhaus bauen. Ein Haus zum Leben und ein Haus zum Sterben.

Geld ist kaum vorhanden. Freunde kommen. Sie bauen und spielen ihre Musik. Der Vater kommt aus dem Spital nach Hause und sieht und hört das Sägen und Hämmern, das Rufen und Lachen. Am Abend holen sie ihn auf einer Trage dazu.

Als Hedström mit seinen Freunden schliesslich den Vater auf einer Bahre ins neue Haus trägt, muhen die Kühe auf der Wiese dazu. In der ersten Nacht schläft Hedström bei Bo. Am morgen sagt Bo, noch nie habe er so gut geschlafen.

In der nächsten Nacht brennt vor dem Fenster ein grosses Feuer bis zum Morgen. Bo macht sich auf seine letzte Reise. Zwei Tage später stirbt er.
,Das Haus war für eine Nacht Leben und für zwei Tage Übergang,‘ sagt Hedström. ,Und es war extrem erfüllend.‘

Seine Schwester erwartet ein Kind. Das neue Haus wird zum Gemeinschaftshaus. Ohnmacht und Erfüllung, Schmerz und Hoffnung, Abschied und Liebe finden so in ihm zusammen. Leben und Sterben in einem Haus.

Aus dem Restholz vom Haus zimmert Hedström den Sarg für seinen Vater. Bald wird ein Kind geboren. (nach: The New Yorker, Sept 25, 2023)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

sich selbst zum Narren machen

das echte Schneewittchen

Abschaffung des Glaubens