Licht Lied

Alle stehen und sind bereit. Hinter den Masken kann man eine Lächeln ahnen. Trotz allem. Das ,Buurebüebli’ liegt schon auf der Zunge. Da schüttelt der Organist den Kopf.

Zwei Tage vorher hatte mich der Sohn noch angerufen. ,Können wir singen,  wegen Corona, meine ich?’ hatte er gefragt. ,Im Moment singen wir noch,’ hatte ich gesagt, und auf die bekannten Massnahmen verwiesen.
Beim Eingang hatte er die Liedblätter verteilt. ,Es bleibt dabei?’ hatte ich mich vergewissert. ,Ja, wir singen!’ hatte er genickt.

Der Organist kam zu spät. Die entsprechenden Noten aus der Bibliothek zu fischen, hatte er keine Zeit gehabt. Nach dem Eingangspiel huschte er raus und als er zurückkam, hatte er Hefte dabei. Wir standen bereits fürs Lied. Er blätterte. Wir warteten. Schliesslich drehte er sich um und schüttelte den Kopf. Wir sangen auch so. Ohne ihn. ,Es Buuerbüebli.’ Vier Strophen. Fideri fidera. Später noch ‘Luegid vo Bärg und Tal.’ Und schliesslich: ,Abendstille überall’, als 3-stimmigen Kanon. Nach dem letzten Ton applaudierten einige sich zu. Sie waren mächtig stolz. Ihre Augen leuchteten über den Masken. 

Es war die Abdankung ihrer Mutter, Grossmutter und Urgrossmutter. Beim Trauergespräch waren sie noch unsicher gewesen, ob das passt. Nicht nur die Liedauswahl. Auch die Fröhlichkeit. Nun waren sie überzeugt, das hätte ihr gefallen. Man hätte gerne noch zwei, drei mehr singen können.

,Tobe Welt und springe, ich steh hier und singe, in gar sichrer Ruh…’ Der Trotz im Lied ‘Jesu meine Freude’ von Johann Franck aus dem Jahr 1650, gleich nach dem 30-jährigen Krieg, berührt ich immer wieder. Im Lied melden sich manchmal Lebensgeister, die man bereits tot geglaubt hat. Der Widerstand gegen das Lebensfeindliche wird laut. Vor dem augenscheinlich Dunklen lodern Mut und Hoffnung auf. Es steckt etwas ganz und gar Adventliches darin. Menschen verbindend und das Innerste nach oben öffnend. 

Ich bin deshalb stets dafür, dass bei Feiern, Trauerfeiern erst recht, gesungen wird. Auch wenn man nur ein kleines Häuflein ist. Auch wenn alle Männer sagen ‘Ich kann nicht singen.’
Singen richtet auf und lässt leuchten. Keine 100 Kerzen wiegen das auf. Und keine Nubia. Die eigene Stimme findet man am besten mit der eigenen Stimme. Das hellste Licht ist manchmal ein Lied.

In manchen Adventsliedern finde ich dieses Licht ganz besonders.
In ,Nun komm der Heiden Heiland’ (Reformiertes Gesangbuch 358) atmet bald ein ganzes Jahrtausend sehnsüchtige Beharrlichkeit. Ökumenisch selbstverständlich. In ,Gott send herab uns deinen Sohn’ (362) blüht mit jedem Refrain eine Wüstenrose auf. ,Maria durch den Dornwald ging’ (386) ist ein Rosenstrauss für alle Mütter, die für ihre Kinder viel Dorniges auf sich nehmen.
Und in ,Die Nacht ist vorgedrungen’ (372) hört Jochen Klepper 1938 den Flötenton des Morgensterns mitten ins Herz der Finsternis hinein dringen. ,Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.’
Nein, das ist noch nicht gerade ,Fideri fidera’. Doch leuchtende Töne auf dem Weg dahin.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

 

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