keine andere Wahl

Kirche Wiblingen, Deckenfresko 'Christi Himmelfahrt', Januarius Zick

Mitte des 15. Jahrhunderts war das Reich des Herzogs von Burgund, Philipp des Guten, auf mehr als hunderttausend Quadratkilometer mit knapp drei Millionen Einwohnern angewachsen und erstreckte sich vom heutigen Burgund bis nach Holland. Statt einer Hauptstadt bevorzugte er es, sich im Laufe des Jahres in den verschiedensten Ecken seines Reiches aufzuhalten und zu zeigen. Mit wachsendem Reich eine immer schwierigere Sache. In Holland ging zum Beispiel 1464 das Gerücht um, er sei schon seit 10 Jahren verschollen - sei also selber nur noch ein Gerücht. 

Philipp der Gute sah sich gezwungen, sich bei seinen Untertanen zu entschuldigen. Er liess ihnen eine Nachricht zukommen:

,Da wir viele andere Gebiete zu regieren und zu beschützen haben, bleibt uns keine andere Wahl, als in möglichst vielen Orten und Ländern zu sein.' 

*

Ich lese diese Geschichte über meinen berühmt-berüchtigten mittelalterlichen Namensvetter, während ich bei einem Ausflug nach Süddeutschland ein barockes Kloster in der Nähe von Ulm besuche. Ein riesiges Gemälde in der Mitte der Kirche vermittelt die Illusion eines offenen Himmels. Man schaut wie aus der Tiefe eines Brunnens in die Höhe. Auf der Erde, unter düsteren Wolken, teilen ein paar kranke und leidende Menschen den sehnsüchtigen Blick. Eine Stufe höher, auf ein paar Wolken, sitzen Heilige und bereits Verstorbene wie Fangruppen mit winkenden Armen. Und in der Mitte, wo der Himmel in ein fast gleissendes Licht übergeht, sieht man den auferstandenen Christus in die Höhe fahren, während auf der grössten Wolke, inmitten von Engeln, ein weisser Thron bereit steht, ihn zu empfangen.
Barocke Illusionsmalerei in Vollendung, die mich mit einem steifen Nacken staunen lässt. Man kann sich den Wettbewerb um die radikalste Froschperspektive lebhaft vorstellen. Was eignet sich dafür besser, als die Geschichte von Christi Himmelfahrt?

*

Auf eine Art ist die Geschichte, die uns diese Woche wieder einen freien Tag mittendrin beschert, so schräg, dass man heute kaum noch darüber reden kann, ohne sich lächerlich zu machen. Jedenfalls nicht, wenn man sie auch nur ein bisschen realistisch - wie der Klostermaler - oder historisch nimmt. (Was natürlich nicht heisst, dass fundamentalistische Bibelversteher einem die Geschichte nicht allen Ernstes stundenlang erklären können...)

Auf die andere - symbolische - Art erscheint mir die Auffahrtsgeschichte jedoch ganz einfach und logisch. Sie löst auf der Erzählebende das Problem des Burgunderherzogs, immer auch ,viele andere Gebiete zu regieren und zu beschützen' zu haben. Und ermöglichst so die Gegenwart des Auferstandenen jenseits menschlicher - jesuanischer - Begrenzung.

Der Glaube an Christus glaubt ihn nicht nur hier und für sich selbst. Er glaubt, dass er für ganz viele und auch für ganz ferne da ist. Das kann er nicht, solange er gerade in Jerusalem oder bei Besuch bei Fischer Petrus am Ufer des See Genezareth oder in meinem kleinen Herzen weilt. Deshalb muss die Geschichte seines Weges erzählen, wie er aus unseren Begrenzungen weg an den Ort versetzt wird, der nicht mit Koordinaten fixiert werden kann: in den Himmel - oder in der Informatiksprache: in die Cloud.
Das erzählt die Geschichte von der Himmelfahrt auf ihre witzig surreale (hollywoodeske) Art und Weise.

Die Ereignisse zwingen meine Gebete gegenwärtig an viele Orte dieser Welt.
Und zu einem grossen Etcetera, das alle einbezieht, die mir gar nicht bekannt sind.
Die Auffahrtsgeschichte zwinkert meinem Glauben zu, dass das ganz im Sinn seines Meisters ist:
Er ist nicht weg, um weg zu sein.
Er ist weg, um mit seinem Frieden und seiner Hoffnung bei vielen anderen, auch ganz weit weg, sein zu können.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch


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