Schwere Waffen

,Schwere Waffen' verdrängt 'Impfpflicht'. So könnte man jedenfalls in den Debatten der vergangenen Wochen in unserem nördlichen Nachbarland den Eindruck gewinnen. Im Zeitalter der Medienallgegenwart machen sich Grundängste und Grundfragen immer wieder an einzelnen Reizworten fest und werfen ihnen entlang Gräben auf, gegenüber denen der Röstigraben rasch zu einer kleinen Rinne verkommt. Dass die zugrundeliegenden Ängste und Fragen dabei in den Hintergrund geraten, scheint Teil der Mediendynamik zu sein. Hauptsache mediale Aufmerksamkeit und Talkshow-Stoff en masse. Und in der Folge gesellschaftliche Polarisation. Selten die Momente, wo die eigene Unsicherheit und Überforderung durchdrückt. Dabei machen die Themen vor allem das deutlich: Man ist mit Entscheidungen und Konsequenzen konfrontiert, bei denen man nicht auf bestehende Erfahrungen zurückgreifen kann. Die Geschichte treibt uns rücklings in eine unbekannte Zukunft. Mutige voran? Oder Ängstliche voran?

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Mit mehr als zwölf Tonnen gehört die Dulle Griet von Gent bestimmt zu den schweren Waffen. Man kann sich vorstellen, wie viele Männer und Pferde nötig waren, um ein solches Riesengeschütz vor 570 Jahren zu bewegen und zu bedienen. Das Monstrum konnte eine Steinkugel von 300 Kilo verschiessen und ein Bresche in eine Belagerungsmauer schiessen. Ein Chronist behauptet: ,Wenn dieses ,Steingeschütz von wunderbarer Grösse ... abgefeuert wurde, so war dies tagsüber gewiss fünf Stunden und nachts zehn Stunden weit zu hören. Und das Donnergrollen war beim Schiessen so stark, dass es den Anschein hatte, als wären alle Teufel der Hölle losgebrochen.'

Ich lese von dieser schweren Waffe aus alter Zeit und denke an die schweren Waffen unserer Zeit. Das Aufkommen der Feuerwaffen und Kanonen bedeutete damals das Ende des Rittersstandes. Mit ihren Rüstungen, Schildern und Schwertern gehörten sie buchstäblich zum ,alten Eisen'. Manche bedauerten das Verschwinden der ,ritterlichen Tugenden'. Wobei diese Tugenden auch Kreuzzüge und massenhaftes Leid bedeutet hatten. Was aber blieb, war, dass Menschen Krieg führten und dafür ihre ganze Erfindungsgabe und alle technischen Errungenschaften einsetzten.  

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Und der Wolf reißt die Schafe und jagt die Herde auseinander.
(Die Bibel, Johannes 10, 12)

Es berührt mich in letzter Zeit auf eine neue Art, dass Jesus bereits in der Bibel das 'Lamm Gottes' genannt wird. Es ergeht diesem Lamm sehr schlecht unter den Menschen. Seine Reinheit wird mit seinem eigenen Blut erkauft. Auf alten Bildern sieht man, wie es zu Ader gelassen wird. Das Lamm ist auch das Opfer(lamm). Der Krieg produziert Opfer zuhauf. Die Teufel der Hölle sind losgelassen.

Mit dem Bild vom guten Hirten und den Lämmern malt uns die Bibel einen Welt vor Augen, in denen wir Menschen wie Lämmer sind, geführt von einem Hirten der ganz anderen Art. Es ist das Bild einer paradiesischen Welt, eine Gegenwelt.
In der realen Welt sind Menschen einander leider nicht Lämmer, sondern Wölfe. Man kann in die Geschichte eintauchen, wo man will, und stösst immer auf dasselbe Bild. Und zu Leitwölfen erklären sie leider selten die mit am meisten Lammqualitäten. 

Wie schützt man Lämmer vor den Wölfen, Opfer vor den Raubtieren? Können sich Menschen so ändern, dass sie von Wölfen zu Lämmern werden, nicht nur einzeln, sondern insgesamt?

Es ist schwer, realistisch zu bleiben und dabei die Hoffnung zu bewahren und zu hüten. Ich bin immer wieder auf andere angewiesen, die diese Flamme in mir am Leben zu halten. Ich bin immer wieder auf den ganz Anderen angewiesen, um diese Flamme in mir am Leben zu halten.

Der Glaube ist für mich der Zwischenraum, in dem ich mich weder für blinden Realismus noch für blinden Optimismus entscheiden muss, sondern mich in Zweifel und Hoffnung offen halten und dem guten Hirten anvertrauen kann.
Doch kann ich das auch als Bürger, als in einer, der in einer Demokratie in die politische Verantwortung miteinbezogen ist? Ich bin mit Entscheidungen und Konsequenzen voller Unsicherheiten und Überforderung konfrontiert. Und der erste Mut besteht darin, das einzugestehen, und so auf andere zuzugehen.

Mir fällt das berühmte Gedicht von Hilde Domin 'Abel, steh auf' ein. Es spricht genau von diesem trotzigen Hüten der Flamme und Bewahren der Hoffnung. Es ist kein Zufall, dass es ums Aufstehen / um Auferstehung geht. Und es berührt mich, dass sie am Schluss das Feuer von Abel an eine moderne schwere Waffe hängt. 

Abel steh auf
es muss neu gespielt werden
täglich muss es neu gespielt werden
täglich muss die Antwort noch vor uns sein
die Antwort muss ja sein können

....

Abel steh auf
damit es anders anfängt
zwischen uns allen

Die Feuer die brennen
das Feuer das brennt auf der Erde
soll das Feuer von Abel sein

Und am Schwanz der Raketen
sollen die Feuer von Abel sein

Hilde Domin, Abel steh auf (Ausschnitte)

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch



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