königlich sterben

Sie ist ganz menschlich gestorben. Zog sich in ihr Schloss in Schottland zurück wie die Alten von Japan einst, wenn sie die letzte Stunde ahnten, auf den Fujijama. Empfing am Tag davor, als letzte Amtshandlung, noch Boris Johnson und Liz Truss. Und zog sich dann aus Königin- und Menschenhülle still, gerade und bestimmt, wie sie war, endgültig heraus.

Als am Donnerstag die Aufregung über den schlechteren Gesundheitszustand durch die Medien sickerte und Genesungswünsche aus der ganzen Welt nach Schottland flogen, bangte ich noch um sie. Wird es ihr, die zeitlebens königlich lebte, auch im Sterben nicht vergönnt sein, Mensch zu sein? Ich stellte mir eine besorgte Runde medizinische Spitzenkräfte um ihr Bett vor, die sich nicht damit abfinden mochten, dass eine 96 jährige Frau das Leben, dieses geburtliche und sterbliche, wieder verlässt. Hat auch eine Queen das Recht auf eine Patientenverfügung, die lebensverlängernde Massnahmen untersagt? fragte ich mich. Wird sie auch den letzten Weg als Volksobjekt statt Personensubjekt gehen müssen?
Und dann, bereits am Abend, fast erlösend, die Nachricht: Sie hat es vollbracht. 

Beim Sterben ist das menschliche das königliche, dachte ich. May she rest in peace.

Menschen, die behaupten, sie besser zu kennen, sagten, sie sei in einer noch ganz selbstverständlichen Weise, die man heute kaum mehr finde, im christlichen Glauben verwurzelt gewesen. Sie hätte manchmal schwer verstehen können, dass die vielen Menschen unter ihrem Balkon nicht auch im Gebet den Halt gesucht und gefunden hätten, den sie dort suchte und fand. Nun kann man sagen: Im royalen Glashaus fällt das auch leichter. Ebenso kann man aber auch sagen: Wenn man es nicht selber kennt, kann man es nicht verstehen. Sicher ist: Wenn sie davon sprach, dass sie für die Leidenden eines Unglück bete, kam es ungleich natürlicher und gluabwürdiger rüber als bei gewissen amerikanischen Politikern, die das noch nach jedem Massenshooting mechanisch wiederholen, ohne den geringsten Einfluss auf ihr Handeln. Statt Wahrnehmung einer Verantwortung ist eine solche Floskel dort nur noch Abschiebung derselben auf ein anonymes Schicksal.

Mit dem Gottesgnadentum verbinde ich sehr viel, mit einem monarchischen Gottesgnadentum jedoch gar nichts. In der globalen Trauerwelle, die der Tod dieser berühmten 96-jährigen Würdenträgerin nun auslöst, flackert für mich deshalb auch das Echo von Lady Di und anderer Betroffenheitskonvulsionen der medialen Zivilreligion. Eine Gesellschaft, die sich kaum noch im Ewigen verwurzelt, kann sich mit dem Vergänglichen auch dann schwer versöhnen, wenn es sich an einer gegen hunderjährigen Person zeigt, die ,alt und lebenssatt' stirbt. Die Queen war zeitlebens eine Projektionsfläche für manches, das anderwohin gehörte. Nun irrlichtern diese religiösen Bedürfnisse haltlos durch die globale Seele. Und ich frage mich, was die glaubende Queen ihrer trauernden Masse heute ans Herz legen würde.

Von unseren britischen Nachbarn höre ich, dass die good Liz (Elisbeth) nun durch die bad Liz abgelöst worden sei. Das ist bester schwarzer britischer Humor. Doch darauf abstellen möchten auch sie sich selbstverständlich nicht. Wenn die Queen sich in den vergangenen 70 Jahren als die grosse Konstanz in den Turbulenzen der Welt erwies, dann muss diese nun ihren übergeordneten Halt woanders finden. Dass King Charles III diesen nicht bieten kann, liegt nicht an ihm, sondern am menschlichen Streben. Es zielt nicht hoch genug. In aller Trauer macht mich das am meisten traurig.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

Am 8.9.2022 starb Queen Elisabeth II im Alter von 96 Jahren nach 70 Jahren auf dem britischen Thron.

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