Es werde dunkel

Die koreanische Halbinsel bei Nacht
In Zürich wird die Weihnachtsbeleuchtung reduziert. In St. Gallen verhinderte eine Protestwelle den Verzicht. In Basel sind Detailhändler und Stadtkonzept noch in Diskussion. Auch die Strassenbeleuchtung übers Jahr wird zum Thema. Weniger Licht bedeutet auch weniger Energieverbrauch. Brauchen wir wieder mehr Nacht?

Die Nacht hat schon lange schlechte Karten. Seit der Allverfügbarkeit von Elektrizität erst recht. In der Nacht sehen wir nicht nur schlecht, weil es dunkel ist, sondern auch, weil unsere Augen sich nicht mehr daran gewöhnen müssen/können. Während eine Nachtwanderung in offener Landschaft noch als Erlebnis gilt, ist eine Nachtwanderung in der Stadt nicht nur unmöglich, da es fast überall fast immer taghell ist, sondern hat auch einen 'zwielichtigen' Ruf (Was hat der/die um diese Zeit hier zu suchen?).
Was wäre das für ein Erlebnis, mal im Dunkeln durch unsere Stadt zu laufen? 

Konnte ,Licht' während Generationen als emotionale, existentielle (Sicherheit!) oder gar moralische Frage (Im Dunkeln munkeln) gelten, schält sich nun wieder der Kern heraus: die Energiefrage.

Die grossen Städte wurden erst vor hundert Jahren dauerhell. (Parallel begann man sich in der Psychoanalyse mit den eigenen dunklen Seiten zu beschäftigen). Ich erinnere mich noch an den Besuch einer Ausstellung in Berlin über das ,Licht in der Stadt'. Mit der Elektrifizierung der Gaslaternen kamen auch Lichtreklamen und Hausbeleuchtungen in die Stadt. Nun erhielt die Stadt auch in der Nacht ein unverwechselbares Gesicht. Der Piccadilly Circus und der Times Square wurden erst als Nachtplätze weltweit bekannt. Berlin musste sich davor nicht verstecken: Das Vaterlandhaus am Potsdamer Platz strahlte ebenfalls pure Nachturbanität aus. Der Krieg riss Haus und Erinnerung ins Vergessen. Während der Piccadilly Circus während der Luftangriffe (The Blitz) nochmals im Dunklen verschwand, ist die Beleuchtung am Times Square seit hundert Jahren nicht mehr abgeschaltet worden.

Laut NASA liegt der hellste Ort der Erde nachts in Las Vegas. Die Stadt konnte erst im Stromzeitalter das werden, was sie ist - eine Night City als Light City. Man kann der Stadt zugute halten, dass sie auf dem ,Negativ' ein erleuchtetes Positiv macht. Wenn sie überhaupt schön ist, dass auf jeden Fall in der Nacht. Zugleich ist sie aber auch die maximale Künstlichkeit. Der Biorhythmus des Menschen wird umgepolt wie bei den Legehennen. Ihre Tätigkeiten könnten sich kaum weiter von allem Natürlichen entfernen. In der Spitze des Luxor-Hotels befindet sich ein 273'000-Watt-Strahler, der die Night City wie mit einem Lichtfahrstuhl mit dem Himmel verbindet und den Blick nach oben beamt - allerdings nur bei Nacht. 

Vom Mond zeigt sich nachts eine regelrechte Entwicklungskarte der Erde. Nordkorea verschwindet im Dunkeln. Eine scharfe Linie trennt es vom Süden. Armut wird vom Mond aus betrachtet nachts buchstäblich unsichtbar. 

Der Winter kommt. Ich lass es gerne zu, dass die länger werdenden Abende mich einhüllen. Im Schutz der Dunkelheit kehre finde ich nach Hause und kehre besser zu mir selbst zurück. Die Nacht hat einen zu schlechten Ruf. Die Sprache hilft da kräftig mit. Auch die (dualistische) der Bibel (Kinder des Lichts...). Tag/Nacht ist was anderes als gut/böse und schwarz/weiss. Die symbolische oder moralische Lesart tut unserem Empfinden und Bedenken nicht gut. In einer konsumorientierten Leistungsgesellschaft würde mit der Nacht auch der Mensch gestärkt werden. Es gibt Zeiten, da kann man einfach Mensch sein, ohne dass gleich an den Tag kommt, was man tut und irgendwo beiträgt. Licht aus. Es darf auch mal dunkel.

Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert lagen grosse Städte nachts überwiegend im Dunkeln. Das Licht der Gaslaternen konkurrierte nicht mit dem Mondlicht. Man traf sich darunter zum Rendez-vous oder für eine Zigarette. Hugo von Hoffmansstahl konnte in Wien noch romantisch dichten:

Siehst du die Stadt, die da drüben ruht,
Sich flüsternd schmieget in das Kleid der Nacht?
Es ergisst der Mond der Silberseide Flut
Auf sie herab in zauberischer Pracht.
(1890)

Wenn man Licht mit Geborgenheit und Nacht mit Angst gleichsetzt, dann darf man es auch so zu Ende führen, wie es Psalm 139 macht. Bei Gott fällt beides in eins.

Doch für dich ist die Finsternis nicht finster,
und die Nacht leuchtet so hell wie der Tag:
Finsternis ist für dich wie das Licht.
(139, 12)

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch


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