flüchtiges Gold
Eigentlich ein Glück, wenn man das immer wieder erfahren darf, auch nach vielen Lebensjahren: Etwas geht mir auf, das mir bisher noch nicht aufgefallen ist. ,Stimmt!' sage ich. ,Dabei hab ich es doch schon oft gesehen.'
Oft braucht es Worte, damit ich Dinge überhaupt erst wahrnehme. Zwar waren sie schon vorher wahr. Doch erst jetzt nehme ich sie wahr.
Poesie macht das mit mir. Vielleicht heisst sie drum auch so. Poein gr. heisst machen. Es sind Worte, die etwas mit mir machen.
Auch gesehen sind auch die Worte der Bibel Poesie. Sie lassen mich manchmal Unsichtbares sehen. (Das nennt man dann 'Glauben'.)
Per Newsletter flattert ein Gedicht von Robert Frost ins Mail. Es erzählt vom ersten Frühlingsschimmer, der ganz golden ist. Es leuchtet mir ein und nun bin ich sicher, dieses Gold gesehen zu haben, auch wenn es bereits am Verblassen ist. Irgendwo darin oder darunter wird es noch stecken. Und bleiben.
Im Internet finde ich eine anonyme Übersetzung, sogar gereimt. Übersetzungen können nie alles rüberbringen. Bei Gedichten erst recht. In der zweiten Zeile wird Gold als der Farbton bezeichnet, der am schwersten festzuhalten ist. Auch darin ist er dem Glauben nah. Wahrnehmen geht. Immer neu. Festhalten fällt schwer. Oder lädiert ihn - wie ein Schmetterling, den man festhalten will...
Wie schnell muss es verblüh'n.
Gold nie bestehen mag.
Robert Frost, 1923
Philipp Roth
philipp.roth@kgbb.chphilipp.roth@erk-bs.ch
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