Posts

Es werden Posts vom Mai, 2023 angezeigt.

Auffahrt

Bild
  Ich bleibe an einem Cartoon in einer Zeitschrift hängen. Welchen Titel würde ich ihm geben? Als Kirchenmensch lassen mich Schafe und Hirte (Pastor) unweigerlich an mein eigenes Umfeld denken. Die Rolltreppe öffnet kurz nach Auffahrt auch diese Assoziation. Ich versuche mich an Titeln: - Kirchenbeitrittskampagne - Missionsauftrag - im Shoppingcenter der Religionen - Alpaufzug urban style - Hirt und Hund (Zuckerbrot und Peitsche?) - ... Der Hund irritiert mich. Den Schafen würde ich gern wenigstens die Haare individuell frisieren und sie bunt anmalen. Dem unentschlossenen Schaf möchte ich eine Sprechblase geben: Was geht in ihm vor? Was ist oben an der Rolltreppe zu finden? (aus: The New Yorker, Feb 13/20, 2023, p.31; Seth Fleishman) Philipp Roth philipp.roth@kgbb.ch philipp.roth@erk-bs.ch    

die eigene Stimme

Bild
Ich vergass ihn zu fragen, woran er sie denn erkenne. Ich war noch zu sehr mit dem beschäftigt, was er gerade gesagt hatte. ,Das Einzige, was mich in diesem Moment interessiert, ist, ob ich darin ihre oder seine eigene Stimme höre,' hatte er gesagt. Die Uraufführung fand in einem Raum im Untergeschoss eines alten Industriegebäudes statt. Es wurden vier neue Stücken von zwei verschiedenen Komponisten geboten. Die Musikerin und der Musiker waren virtuos. Die Stücke Überraschungstüten mit süsssauren Schlangen und Knallfröschen. Ich vermutete mich in einer Neuen Musik-Community und tanzte auf der Neugier-Befremden-Linie des Zaungasts. Meine Ohren sind im Bereich Neue Musik noch wenig trainiert. Mein Kopf ist im Bereich Gwunder gut trainiert. Beim Apéro dann die Frage, was denn ein gutes Stück ausmache. Es wurden Kohärenz, Überraschung, Melodik, innere Struktur genannt. Ich warf ein, dass Effekte allein bestimmt noch keine gute Musik machten. Sie müsse gefüllt und getragen werden. Das G...

Gebrauchsanweisung nachösterlich

Bild
Es geht mir in diesem Jahr näher. Vielleicht, weil ich an all diesen Sonntagen irgendwo Gottesdienst halte und näher dran bin. Vielleicht auch, weil mich die allgemeine Weltsorge besonders empfänglich dafür macht. Das Kirchenjahr setzt in die 50 Tage zwischen Ostern und Pfingsten drei Sonntage mit Ausrufezeichen. Jubilate! Kantate! Und morgen: Rogate! Dreimal Imperativform im Plural. Jubelt! Singt! Betet!  ,Das lässt sich doch nicht befehlen,' sagt der Stimmungsmensch in mir. ,Du weisst aber, dass man auch in Stimmung kommen kann,' entgegnet der Haltungsmensch in mir. Ich weiss inzwischen ein paar Dinge, die mir gut tun, und setze mich bewusst ihnen aus. Ausfliegen. Musik spielen. Freunde einladen. Brot backen. Manchmal entscheide ich mich gegen meine Stimmung bewusst dafür - und finde sie dann erst. So kommen mir die drei Sonntage in diesem Jahr entgegen. Und ich lasse mich gerne darauf ein. Ich sammle meine Gründe zum Jubeln und werde fröhlich. Ich entdecke, wie das Singen da...

Gemüsesuppe

Bild
Hatices Sohn ist vor einem Vierteljahrhundert spurlos verschwunden. Die Kurdin vermutet den türkischen Geheimdienst dahinter. Das etwas unscharfe Bild des Sohnes vergilbt still an der Wand. Im Traum kommt es immer noch vor, dass er plötzlich vor der Tür steht. Sie weiss jedoch, es ist nicht anzunehmen, dass er noch lebt.  Am Tag, als er verschwand, kochte die Mutter draussen auf dem Feuer eine käftige Gemüsesuppe. Sie assen sie gemeinsam. Niemand ahnte, was kommt. Seither lässt die Erinnerung Hatice nicht mehr los. Und sie möchte die Erinnerung an den Sohn auch nicht mehr loslassen. Deshalb kocht sie nun jeden Freitag, den Ruhetag im Islam, diese Suppe und verteilt sie an das ganze Dorf. Der Geschmack ihres Sohnes soll bleiben. Und er gehört allen. Diese Episode erzählt der Film 'Im toten Winkel' der deutsch-kurdischen Regisseurin Ayşe Polat, der in diesem Jahr in der Berlinale Premiere feierte. Erinnerung geht durch den Magen. Und stiftet Gemeinschaft.  Ich werde am Samstag w...