die eigene Stimme

Ich vergass ihn zu fragen, woran er sie denn erkenne. Ich war noch zu sehr mit dem beschäftigt, was er gerade gesagt hatte. ,Das Einzige, was mich in diesem Moment interessiert, ist, ob ich darin ihre oder seine eigene Stimme höre,' hatte er gesagt.

Die Uraufführung fand in einem Raum im Untergeschoss eines alten Industriegebäudes statt. Es wurden vier neue Stücken von zwei verschiedenen Komponisten geboten. Die Musikerin und der Musiker waren virtuos. Die Stücke Überraschungstüten mit süsssauren Schlangen und Knallfröschen. Ich vermutete mich in einer Neuen Musik-Community und tanzte auf der Neugier-Befremden-Linie des Zaungasts. Meine Ohren sind im Bereich Neue Musik noch wenig trainiert. Mein Kopf ist im Bereich Gwunder gut trainiert.

Beim Apéro dann die Frage, was denn ein gutes Stück ausmache. Es wurden Kohärenz, Überraschung, Melodik, innere Struktur genannt. Ich warf ein, dass Effekte allein bestimmt noch keine gute Musik machten. Sie müsse gefüllt und getragen werden. Das Gegenüber nickte mit dem Nicken eines Menschen, der noch viel mehr dazu zu sagen hätte, aber mich nicht überfordern möchte. ,Das Einzige, was mich in diesem Moment interessiert, ist, ob ich darin ihre oder seine eigene Stimme höre. Das ist doch der Unterschied zwischen U und E (Unterhaltungsmusik/Ernste Musik). U-Musik spielt das, was sie denkt: Die Hörenden möchten das gern hören. E-Musik spielt das, was sie selbst sagen möchte.'

Abgesehen davon, dass ich dachte, die Unterscheidung E-U wäre passé, würde ich dem so nicht zustimmen. Auch die Neue Musik, so hatte ich den Eindruck, wollte durchaus gefallen. L'Art pour l'art hat die Zielgruppe der eigenen kleinen Community. Und ist am Ende noch stolz auf das ,klein'. Das Elitegefühl baut sich so auf. Und andererseits höre ich in machen ganz anderen Musikrichtungen viel eigene Stimme, die er wohl als U bezeichnen würde.

Dennoch finde ich die Grundfrage entscheidend: Was bringt mich dazu, mir Ausdruck zu verschaffen: Äussere Erwartungen (die sich auch sehr verinnerlicht haben können...)  oder innere Notwenidgkeit?

Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen, meint der Komponist Arnold Schönberg.

Klar, dass ich dabei nicht nur an die Musik, sondern auch an andere Ausdrucksformen denke. Auch das Predigen. 

Wie gesagt: Ich vergass ihn zu fragen, woran er sie denn erkenne, diese eigene Stimme. Das dürfte wiederum viel mit ihm zu tun haben und was bei ihm eine Resonanz findet. Das ist auch nicht ganz objektiv, aber wohl auch nicht ganz subjektiv. Stimmen, die aus dem eigenen Inneren kommen, haben auch die Kraft, im Innern des Gegenübers was zum Klingen zu bringen.

Nur etwas erfuhr ich noch, bevor ich den Apéro verliess: Er war selbst Komponist und schrieb seit den 80-er Stücke.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

 



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