paralysed with hope?

Mittwoch. 

Ich habe noch die Frühnachrichten im Kopf, die vom Untergang eines Flüchtlingsbootes mit hunderten Menschen vor der Küste Griechenlands berichteten, als mir in der Stadt vom aus Fahrrad das Plakat der New Yorker Künstlerin Roni Horn in die Augen fiel mit dem verwaschenen Schriftzug: I am paralysed with hope - Ich bin gelähmt vor Hoffnung. 

Eine Drohnenaufnahme über dem Mittelmeer zeigt ein mehrstöckiges Schiff, das bis zum Oberdeck schwarz von Menschen ist, die, so hat man den Eindruck, nicht mal genug Platz zum Sitzen haben. Unweigerlich kommen mir die Erfahrungsberichte von Shoah-Überlebenden aus dem Innern der Waggons der Transporte in den Osten  in den Sinn. Für die Notdurft hatte es einen Eimer in der Ecke. Zu Essen und Trinken gab es wenig bis nichts. Sie hatten keine Wahl. 

Im Unterschied dazu hatten die Flüchtlinge eine kleine, wenn auch verzweifelte, Wahl. Irgendwann hatten sie sich für diesen Weg entschieden, gezwungen von Umständen, Krieg, Hunger, Zukunftsverschlossenheit, die ein Bleiben schlimmer machten als ein Aufbrechen. Und gezogen von einer Aussicht, Arbeit, Wohlstand, Frieden - Europa! -, die alle Trennung, Ungewissheit und Gefahr lohnend erscheinen liess.  In gewisser Weise verkörpern die vielen Menschen die Hoffnung auf ein besseres Leben. Eine Hoffnung, die mir, aus dem Paradies und in Kenntnis der vielen Tragödien, irgendwie tollkühn und unglaublich flüchtig vorkommt. Wussten sie es nicht besser und laufen blind ins Unglück? Oder nahmen sie das Risiko in voller Kenntnis der unermesslichen Gefahr in Kauf? 

Ohnmächtig mussten wir in den letzten Jahren lernen, dass viele Menschen nicht wider besseres Wissen, sondern ganz bewusst Halbwahrheiten, Verschwörungstheorien und Fakenews den bekannten Fakten vorziehen. Sie wollen nicht wahr nehmen, dass viele Dinge anders sind, als sie es gerne hätten, und hängen sich an die Strohhalme ihrer Sehnsüchte, befördert noch von einer globalisierten, konsumorientierten Wirtschaft, die dazu ermutigt, für sich selbst immer grösser zu Träumen und mehr zu fordern. Ist nicht aus dem Märchen vom Rattenfänger von Hameln längst eine zutiefst ambivalente Geschichte geworden? Erschüttert verurteilen wir auf der einen Seite die Schlepper, die mit den verzweifelten Sehnsüchten der Menschen ein lukratives und oft todbringendes Geschäft machen. Und nehmen es auf der anderen Seite als wie ein Naturgesetz, dass die Medien immer mehr von einer Werbewirtschaft anhängig werden, die genau solche Träume von unbegrenztem Wohlstand, individueller Freiheit und uneingeschränkten natürlichen Ressourcen bedient. Influencer sind die neuen Superstars der neuen Medien. Ihre Währung heisst nicht Wahrheit, sondern Klicks. Und Politikerinnen und Politiker - mehr letztere - suchen zunehmend weniger Wählerinnen und Wähler, die ihr Programm teilen, als Fans, die ihnen auch durch die haarsträubendsten Skandale hindurch die Treue halten.

Bestürzt und beschämt über mich selbst stelle ich fest, dass mich bei dem überfüllten Flüchtlingsboot nicht nur die furchtbare Tragik erschüttert, die einmal mehr den menschenverachtenden Zynismus unserer europäischen, aber auch der afrikanischen Politik offenbart, sondern dass kurz auch der Gedanke an die Menschenmassen auftaucht, die manchmal vor dem Applestore campiert, wenn ein neues IPhone in den Verkauf gelangt. Es sind zwei komplett verschiedene Dinge. Ich möchte sie nicht vergleichen. Und werde den Verdacht doch nicht los, dass es zuinnerst auch eine Dynamik gibt, deren Verwandtschaft ich nicht unzweifelhaft negieren kann.

Freitag.

Mit Kolleginnen und Kollegen diskutiere ich einen Abschnitt im Römerbrief in der Bibel (5, 1-5). Paulus versucht darin die neue Wirklichkeit in Worte zu bringen, die ihn von Gott umfasst hat, seit er ihm in Christus begegnet ist. Er erlebt sich wie in einen neuen Lebensraum geführt, dem licht- und liebevollen Raum der Charis - Gnade. Eine neue 'sichere Hoffnung' wohnt nun in ihm (Vers 2). Wir versuchen in unserem Gespräch diese Hoffnung zu erfassen. Wie zeigt sie sich? Wie verhält sie sich zu den vielen konkreten Hoffnungen in und um uns - zwischen der ,Hoffnung auf schönes Wetter' und der 'Hoffnung auf ein besseres Leben, eine bessere Welt'?

Ein Trauergepräch geht mir durch den Kopf, das ich kürzlich geführt habe. Die Angehörigen erzählten, wie ihr Vater auch in der finalen Krebsphase noch an der Hoffung festhielt, bald wieder gesund zu werden, und wie schwer es deshalb gewesen sei, mit ihm über die Realität des Sterbens zu reden. Seine Hoffnung habe das Gespräch über die Wirklichkeit des Todes und die Notwendigkeit des Abschieds wie gelähmt. 

Paulus scheint diese Seite der Hoffnung zu kennen. Er präzisiert deshalb, dass die Hoffnung, die ihn erfüllt, das Leiden nicht aus-, sondern einschliesst. Sie ist nicht die Widerlegung aller Not und Bedrängnis, sondern gerade darin das, was unverbrüchlich bleibt und weiter - bis darüber hinaus - trägt. Im Horizont des neuen Raums und der neuen Zeit (Gnadenraum, Gottzeit) wird die Hoffnung durch nichts falsifiziert, was hier und jetzt, oft mit unwiderstehlichem Totalitätsanspruch, dagegen steht. ,(Diese) Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.' (Römer 5, 5).  

Meine Lebenswirklichkeit ist oft erfüllt von  - ich nenne sie mal - ,Oberflächenhoffnungen', die sich von meinen ja oft durchaus richtigen - und nicht kosumistischen - Bedürfnissen, Sehnsüchten und Träumen nähren (Gesundheit, gute Beziehungen, Sicherheit, Gerechtigkeit, intakte Welt). Die im Glauben geschenkte Hoffnung ist damit verbunden, aber erschöpft (und erledigt) sich nicht darin, sondern ist eine ,Tiefenhoffnung', die noch wo ganz anders gehalten und bewahrt wird. 

Samstag.

,Beim Namen nennen' heisst die Aktion, die schon seit Jahren am Wochenende des Flüchtlingssonntags stattfindet und diesmal in der Theodorskirche zu Gast ist. Menschen aus unserer Stadt verlesen während 12 Stunden die Namen von Flüchtlingen, die in den vergangenen Jahren auf der Flucht nach Europa ums Leben gekommen sind, und ihre Todesumstände. Auch die Menschen, deren Namen man nicht kennt, werden erwähnt. Vor der Kirche wehen unzählige beschriftete Papierstreifen, für jeden Menschen einen. Nicht als anoyme Statistik, sondern als endlose Summe individueller Menschen wie du und ich werden ihre Namen und Geschichten noch einmal hörbar und sichtbar. Es berührt mich und könnte passender nicht sein, dass das in unserer Kirche geschieht. Ihre Hoffnung auf Europa hat sich in furchtbarster Weise nicht erfüllt. Nur die ,Tiefenhoffnung', für die dieser Kirchenraum mitten in der Welt steht, lässt meine Hoffnung ,nicht zuschanden werden' - auch die Hoffnung, dass die Namen endlich einmal weniger werden und wir gemeinsam Wege finden, die das Leben der Millionen Flüchtlinge bewahren und nicht zerstören.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

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