sich selbst zum Narren machen


Es ist manchmal schwer auszuhalten. Fast jede Tagesschau bietet Einblick in die absolutistischen Höfe der Gegenwart. Moskau, Minsk, Peking, Ankara, Teheran, Caracas, Pjöngjang... Auch um Washington muss man schon wieder fürchten. Lauter Männer im Welterklärungs- und Weltbeherrschungsmodus. Opposition wird kriminalisiert. Medien werden gleichgeschaltet. Andersdenkende zum Schweigen gebracht. Sind wir denn in einem neuen finsteren Mittelalter gelandet? Oder tut man da etwa gar dem Mittelalter unrecht? Da gab es wenigstens noch Hofnarren.

Ich erinnere mich, wie ich mir die Frage schon damals in der Schule stellte: Wie war es möglich, dass absolute Herrscher im Mittelalter Hofnarren hielten, die ihnen frech kamen und eine lange Nase drehten, während sonst Andersdenkende rasch einen Kopf kürzer gemacht wurden? Ich konnte mir gut vorstellen, dass halt auch finstere Könige etwas Spass brauchten, und stellte mir die Narren als Comediens und Netflixe der damaligen Zeit vor. Oder ich dachte mir die Hofnarren als Kuriositätenkabinett, wie sie die früheren Herbstmessen und Jahrmärkte boten.

Sehr verwundert war ich kürzlich, als ich lernte, dass der klassische Hofnarr unserer Breitengrade seinen Ursprung in der Bibel hat. In Psalm 53 gleich zu Beginn hat er seinen Auftritt. 

Der Narr spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott. Psalm 53, 2

Ich erfahre, dass das im (Spät)Mittelalter selbst von Königen so verstanden wurde, dass sich selbst zum Narren macht, wer nichts Grösseres über sich und nichts Wichtiges neben sich akzeptiert. Daran sollte der angestellte Hofnarr erinnern, der damals aufkam. Als Mahnung und Warner, als institutionalisiertes Selbstkorrektiv und veräusserlichte Selbstbescheidung wurde er zum Gegenfigur des Herrschers. So wie der Narr über und vor sich einen König hatte, der ihm Grenzen setzen, so sollte der König nicht vergessen, dass er selbst einem ,himmlischen König' verantwortlich war. Es gibt also Zusammenhänge, denen selbst ein absoluter Herrscher sich nicht entziehen kann. Wer das nicht akzeptiert, stellt sich selbst ins Abseits und macht sich zum Narr.

Das Bild aus einer illuminierten (bebilderten) Psalmenhandschrift aus dem Frankreich des 13. Jahrhunderts malt das vor Augen. Gegenüber König David auf dem Thron mit Krone und Szepter steht in gleicher Grösse der Narr mit einer Keule als Szepterparodie, struppigem Haar und mahnend erhobenem Zeigfinger.

Keiner, erst recht nicht ein König und mächtiger Herrscher, soll je Einsicht und Weisheit in den Wind schlagen und so tun, als stünde er über oder ausserhalb des Gesetzes und der göttlichen Ordnung. Er würde sich selbst lächerlich machen - auch wenn es für viele dann ganz und gar nicht mehr zum Lachen wäre.

Der gute König stellt sich selbst sein Gegenteil gegenüber, zur ständigen Erinnerung, dass Gut und Böse oft fast ununterscheidbar nahe beieinander liegen und gute Macht immer begrenzte und befragte Macht ist. Wie wenig braucht es, und die Verhältnisse kehren sich. Und er selbst ist der Narr und der Narr ist der Weise im ganzen Spiel.

Das Märchen von ,Des Kaisers neue Kleider' (Hans Christian Andersen) geht mir durch den Kopf. Und der letzte amerikanische Präsident, der sich solange mit zustimmenden Günstlingen umgab, bis er selbst jeden Durchblick verlor und viele mit sich zog. Und der Herrscher im Kreml, von dem man sich immer wieder fragt, ob er noch ,gut beraten ist' - also auch andere Einschäzungen um sich hat - oder sich schon längst in seiner eigenen Allmachtsblase verloren hat. 

Das biblische Israel stemmte sich lange gegen einen König. (Auch vor diesem Hintergrund geben die Entwicklungen im gegenwärtigen Staat Israel zu denken.) Wie kann man dessen Macht so einhegen, dass er weise bleibt? Die entstehende und in unserer Bibel enthaltene breite Weisheitliteratur (Hiob, Kohelet, Sprüche, einige Psalmen, Hohelied) brachte es ihrer alten Sprache mehrfach so auf den Punkt.

Die Furcht des Herrn ist aller Weisheit Anfang. zB Sprüche 1,7; Psalm 111,10

Heute würde ich das so übersetzen:
Weisheit beginnt mit dem Respekt vor dem (ganz) anderen.

Philipp Roth

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch


 

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