Betet, freie Menschen, betet!

Bettag 2023.

In der letzten Woche hat der Klimawandel ein weiteres Schreckensgesicht gezeigt: In Libyen (Derna) werden ganze Quartiere ins Meer gespült. Über 10'000 Menschen werden noch vermisst. Nun drohen Seuchen. Hilfe kommt wegen des Bürgerkriegs kaum an. Die Medien sprechen von einer ,Tragödie biblischen Ausmasses'.
Ein Bericht zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche der Schweiz weist seit den 50-er Jahren über 1000 Fälle auf und schockiert einmal mehr. Ob die Verantwortlichen in der Lage sind, nicht nur das Einzelversagen, sondern auch die strukturellen Gründe, die sie ermöglichten, anzugehen?
In Marokko verwüstet ein Erdbeben unzählige Dörfer.
Die Eidgenossenschaft feiert 175 Jahre Bundeversfassung.
Der Krieg in der Ukraine wütet seit 570 Tagen.
In Lampedusa landen über 7000 Flüchtlinge.
Jemand sagt: Manchmal ist die Welt furchtbar.

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Der eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag wurde von der Tagsatzung noch vor der ersten Bundesverfassung im Jahr 1832 der Bevölkerung als überkonfessioneller Feiertag verordnet. Er sollte über den konfessionellen (ref-kath), politischen (liberal-konservativ) und kulturellen (Stadt-Land) Streitigkeiten das Gemeinsame betonen und den Respekt vor den Andersdenkenden fördern.

191 Jahre später ist das Anliegen aktueller denn je. Und längst kein eidgenössisches mehr. 

Ich wünschte mir einen weltweiten Dank-, Buss- und Bettag, der alle Religionen zum Gebet füreinander auffordert.
Ich glaube, dass ein ernsthaftes Gebet, das über das rituelle Verrichten hinausgeht, den Respekt vor allen Andersdenkenden fördert und die Einsicht in die eigenen Verfehlungen, gerade auch in ökologischer und friedens- und gerechtigkeitspolitischer Hinsicht (Busse) einschliesst.
Ich hoffe, dass dieses Gebet auch unsere Kirchen ins Gebet nimmt. Die Geschehnisse in der katholischen Schwesterkirche zeigen einmal mehr, dass diese, die einst selbst noch als Verantwortungsträger wahrgenommen wurden, die für das Gemeinwesen sorgten, inzwischen selbst zum Gegenstand der Sorge geworden sind. Wozu braucht es Kirchen noch, wenn sie nicht mehr zum Heil, sondern zum Unheil beitragen?

Betet, freie Menschen, betet! 

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„Die Welt, die Existenz ist zu schwer ohne den Himmel, an den sie gehängt ist.
Gott, und wäre er nur erfunden, ist unsere beste Erfindung.
An ihm müssen wir festhalten.
Er ist die Erfindung unseres Besten.
Ohne die Behauptung des Göttlichen ist das Menschliche nicht zu bewahren.
Dem trägt der Bettag Rechnung,
auch in einer säkularisierten Gesellschaft."

Jürg Ammann, Schriftsteller, zum Bettag 2011

Philipp Roth  

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

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