Abschaffung des Glaubens

Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Hosea 8, 7

Die Stille nach dem Sturm. Man hört nur noch die Regungen im eigenen Innern. Die Barbarei raubt die Sprache. Vor 9 Tagen haben Hamas - Kämpfer in israelischen Dörfern rund um den Gazastreifen ein Massaker angerichtet und die Städte mit einem Raketenhagel überzogen. Nun stehen iraelische Panzer an der Grenze zu Gaza, zum Äussersten entschlossen. 

Hunderttausende flüchten im Gazakäfig in den Süden. Jeder Tag, der noch verstreicht, ist ein guter Tag. Gibt Menschen eine Chance. Und Überlegungen ausserhalb von Rache und Hass. Wenn zum Menschsein die Sprache gehört, so muss diese nun zuerst wieder gefunden werden.

Die Politik hat die Sprache gleich gefunden. Sie spricht von Tieren. So müsse man sie nun auch 'eliminieren'.
,Tiere würden sowas nie tun,' hält jemand am Telefon dagegen.
Einverstanden. Lassen wir die Tiere aus dem Spiel. Der Mensch ist seine eigene Bestie. Auch der Unmensch ist ein Mensch.

Vielleicht beginnt eine Barbarei damit, dass man alles zusammenschmeisst und die Unterschiede negiert. Kein Unterschied zwischen Zivilpersonen und Soldaten. Religion und Nation. Geschichte und Gegenwart. Terroristen und Palästinenser. Regierung und Armee. Israeliten und Israelis. Ursache und Wirkung. Im Feuer des Hasses verglühen alles Unterscheidungen des Verstandes. Zuerst vermischen. Dann verwischen. Es gilt alles gleich. Und wenn alles gleich gilt, ist alles egal. Selbst das eigene Leben. Und das eigene Volk. Hauptsache Hass. Wieder Sprache finden, würden bedeuten, das Eine wieder vom anderen unterscheiden lernen. Differenzieren. Den Gleichmachern widersprechen, die alles in den gleichen Topf schmeissen. (Die Sozialen Medien sind in dieser Hinsicht ideale Töpfe.) Dieses Auseinanderdividieren hat eine heilsam bremsende Wirkung. Kein Wunder ertragen Hitzköpfe sie nicht. ,Jetzt ist die Zeit zum Handeln!' schreien sie. ,Schluss mit reden!' Doch jeder Tag, der so verstreicht, ist ein guter Tag. Hass spricht nicht. Er wütet. Und wer wütet, hat keine Ahnung mehr, was er anrichtet. Und was herauskommt.

Zurzeit versucht die israelische Armee, die Bewohner des Gazastreifens auseinanderzudividieren. Der Feind heisst nicht palästinensische Bevölkerung. Zivil und Militär sollen unterschieden werden. Den Bewohnerinnen und Bewohner wird eine grausame Last aufgebürdet. Da und dort wird bereits die Gechichtskeule der ,ethnischen Säuberung' bemüht. Doch wäre es nicht grausamer, ihnen diese Last nicht aufzubürden und ihnen nicht die Möglichkeit zu geben, sich von den menschverachtenden Terroristen abzusetzen?

Mit Menschen, denen noch etwas lieb und heilig ist, kann man ins Gespräch kommen. Es gibt etwas, das auch sie nicht auf Spiel setzen wollen. Das ist ein Ansatzpunkt. Doch wie wehrt man sich gegen Menschen, denen der Tod heiliger als das Leben ist, inbesondere der Tod im Kampf gegen den ,Feind'?

,Etwas Besseres als den Tod findest du überall', heisst das Überlebensmotto der Tiere im Märchen der ,Bremer Stadtmusikanten'. Es stammt vermutlich aus dem Dreissigjährigen Krieg, dem europäischen Bürgerkrieg des 17. Jahrhunderts. In der Logik der Zerstörung und des Todes lösten sich noch die letzten Reste einer Rechtsordnung auf. Nichts stand mehr zwischen Recht und Unrecht, Mein und Dein, zivil und militärisch, Kind und erwachsen. Alle war gleich wahr und gleich verlogen. Gleich gut und böse. Gleich egal. Ich höre, dass in diesem euröpäischen Trauma eine Wurzel des humanitären Völkerrechts liegt, das selbst für einen Krieg minimale Regeln setzt. Gut 200 Jahre wurde Henry Dunant vom selben Trauma eingeholt und erfand das Schutzzeichen des Roten Kreuzes.

Um den Satz umzukehren - ,Etwas Besseres als den Tod im Kampf findest du nirgends' - bedarf es der Religion. Nur diese kann das Leben über seine Grenzen hinaus verschieben und das Lebenszentrum ins Jenseits verlegen. Das Christentum hat das im Mittelalter meisterhaft verstanden. Klöster und Kathedralen sammelten die Schätze der einfachen Menschen. Der Heilige Krieg trug damals noch das Kreuzeszeichen. Macht zerstört den Glauben, indem er ihn missbraucht. Die Politisierung der Religion bedeutet die Abschaffung des Glaubens. Der militante politische Islamismus ist keine islamische Erfindung. Der christliche Fundamentalismus in den USA und der nationalreligiöse Zionismus der Siedlerbewegung in Israel sind ihm Geschwister im Geist - auch wenn sie natürlich jede Verwandtschaft aufs Schärfste verneinen. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie ihre Religion ständig im Mund führen, während ihr Herz die Einfachheit und Demut ihres Glaubens längst verraten und verspielt hat.

Das kleine Stück Land am Ostufer des Mittelmeers ist die Wiege der drei grossen abrahamitischen Religionen. Das humanitäre Völkerrecht wäre ohne deren Grundwerte wie Würde des Menschen, Achtung vor dem Leben, Friedensliebe und Gottesfurcht nicht denkbar.
Eine Entspannung der Lage im Nahen Osten kann ich mir heute allerdings nur noch unter Absehung der Religionen vorstellen. Je säkularer der Gesprächsfaden, desto besser. Und darin besteht eine der Tragödien der letzten Jahrzehnte: Religion trägt nicht zum Frieden bei. Sie steht ihr im Weg.
Was haben wir nur aus ihr gemacht?
Giibt es einen Weg zurück ins gute Herz?

Philipp Roth  

philipp.roth@kgbb.ch
philipp.roth@erk-bs.ch

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