Gutmensch
Fast nostalgisch erinnert man sich an die Zeit, in der das Wort 'Gutmensch' noch das politische Modeschimpfwort war. Gegenüber den schönträumenden und menschenumarmenden Netten wurde der pragmatische Macher (selten Macherin..) in Stellung gebracht. Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Lieber ,etwas' Gutes erreicht als ,das Gute' gewollt.
Es hatte etwas von Zwinglis 'Tut um Gottes Willen etwas Tapferes' - wobei man verschämt kaschierte, dass es sich bereits bei Zwingli um einen Ruf zu Krieg und Gewalt handelte.
Nun ist der Schleier weg und die Bühne gehört den 'Bösmenschen'. Die herkömmlichen Umgangsformen scheinen dem Überbietungswettbewerb in Sachen Härte, Entschlossenheit, Machtwillen, Recht des Stärkeren nur noch wenig entgegensetzen zu können. ,Gut' ist, wer grimmig in die Welt blickt und den anderen zu verstehen gibt, dass mit ihm nicht zu spassen ist. ,Gut' ist, wem zur Durchsetzung der eigenen Interessen jedes Mittel recht ist. Das ,Gute' ist zu dem verkommen, was dem Eigenen dient: dem eigenen Land, eigenen Business, eigenen Ego.
Verbunden: Der Zug fährt ein. Die auf dem Perron wartenden Menschen verschwimmen vor dem Zugfenster. Als er langsamer wird, sticht eine Gruppe heraus. In einem Rollstuhl sitzt ein schwerbeeinträchtigtes Mädchen. Ein etwa gleich altes Mädchen hält seine linke Hand, eine Frau seine rechte. Ein Zug fährt ein und nimmt sie mit und sie sind füreinander da.
Mein Nachrichtenkonsum hat merklich abgenommen, stelle ich fest. Ich ertrage nur noch kleine Dosen von diesen grimmigen Machern. Die Linie zwischen Gift und Medizin ist dünn. Ich musste sie deutlich zur Medizin verschieben. Umsomehr rühren mich die ,guten Menschen' an. Die Besonnenen, die sich mit Grund und Recht dem Machtzynismus entgegenstellen und noch von Menschenrecht und Völkerrecht träumen. Und die vielen, die einfach das Gute tun, das sie nicht lassen können - weil sie nicht nur hassen, sondern noch viel besser lieben können.
Ich sammle Gutmenschen.
Selbstlos:
Auch sonntags stand mein Vater früh auf
und zog in der blauschwarzen Kälte seine Kleider an,
dann, mit rissigen Händen, die von der Arbeit
unter der Woche schmerzten, brachte er
das aufgeschichtete Feuer zum Lodern. Niemand dankte ihm je.
Ich wachte auf und hörte die Kälte splittern, brechen.
Wenn die Zimmer warm waren, rief er,
und langsam stand ich auf und zog mich an,
die chronische Wut dieses Hauses fürchtend,
sprach gleichgültig mit ihm,
der doch die Kälte vertrieben hatte
und auch meine guten Schuhe polierte.
Was wusste ich schon, was wusste ich schon
vom kargen und einsamen Amt der Liebe?
Robert Hayden 1966
(Der afroamerikanische Dichter Robert Hayden, 1913-1980,
war 1976-1978 der erste schwarze US Poet Laureate)
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